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Seiner Exzellenz Präsident Scheich Professor Doktor Al-Haji Yahya A.J.J. Jammeh geht es nach seinem überlegenen Wahlsieg Ende November 2011 prächtig. Als Staatschef Gambias hat er mittlerweile seine vierte Amtszeit angetreten. "Präsident Jammeh auf Lebenszeit!", war am Tag nach der letzten Wahl auf Riesenbannern zu lesen, "für dich lohnt es sich zu sterben".
Das droht Kritikern seiner Politik sowieso. Denn wer nicht will, was er will, findet sich rasch im Mile 2 State Prison wieder und wartet auf sein Todesurteil, wegen Verleumdung und Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Seit 1994 wurden 120 Minister gefeuert, Hunderte Journalisten sind geflüchtet, einige nach eingehender Befragung nie wieder aufgetaucht. Kritische Tageszeitungen wurden eingestellt. Taranga FM, dem einzigen unabhängigen Radiosender des Landes, ging es zwei Wochen vor der Wahl nicht anders.
Unblutiger Putsch
"Er ist unsere Wahl. Heute, morgen und die nächste Million Jahre", wird skandiert. Das wird er wohl nicht schaffen, obwohl er erst 46 Jahre ist. Jammeh, Sohn senegalesischer Einwanderer, kam im Alter von 19 in die 800 Mann starke gambische Armee und wurde als Offizier in den USA ausgebildet. 1994, zehn Jahre später, forderten er und befreundete Militärpolizisten ausstehende Soldzahlungen ein und nutzten die Gelegenheit gleich für einen unblutigen Putsch gegen den demokratisch gewählten Altpräsidenten, Sir Dawda Kairaba Jawara, dem die US-Kriegsmarine einen standesgemäßen Abgang nach Senegal ermöglichte.
Der frühere Lieutenant Jammeh war somit das jüngste Staatsoberhaupt der Welt und ist heute Präsident, Regierungschef und oberster General in Personalunion. Damit er den Überblick über sich, seine Titel und sein Volk behält, hat er sich 1996 ein Wahrzeichen bauen lassen: den Arch 22, einen zweistöckigen Triumphbogen mit Museum und goldener Statue davor, zur Erinnerung an den Tag der Revolution (22. Juli 1994). Es ist das höchste Gebäude in der Hauptstadt Banjul, wo nur rund 40.000 Menschen leben. Die asphaltierte Durchfahrt darunter, eigentlich die Hauptstraße westwärts nach Bakau und zu den anderen Küstenorten, darf nur Jammeh selbst benutzen; für das Volk bleibt die Umfahrung auf staubigen Nebenstraßen.
Seine Exzellenz hat Freunde auf der ganzen Welt, die einander auf Jammehs Geburtstagsparty allerdings nur schwer ertragen würden. "Alles Gute zum Geburtstag, Mister Präsident", lacht ihm auf wetterfesten Plastikbannern landesweit ganzjährig entgegen. Neben den USA werden Kuba, Nigeria und vor allem Taiwan hofiert, das für diverse Prestigeprojekte scheinbar mehr Geld springen lässt als die VR China, die bis 1994 einen Großteil der Entwicklungshilfe geleistet hat.
Und Entwicklung braucht Gambia dringend. Den öffentlichen Verkehr besorgen klapprige Buschtaxis, da es weder ein staatliches noch ein privates Busnetz gibt. Die meisten Straßen ins Hinterland sind staubige Pisten voller Schlaglöcher, die Taiwan notdürftig instand setzt. Ampeln haben sich als ernstzunehmendes Verkehrssignal noch nicht wirklich durchgesetzt: 2009 gab es im ganzen Land nur sechs davon. Das ist geringfügig mehr als die durchschnittliche Kinderzahl im kleinsten Staat Afrikas, wo 1,8 Millionen Menschen unterschiedlichster Ethnien auf der Fläche Oberösterreichs leben - rund 500 km lang und höchstens 50 km breit, entlang des Gambia-Flusses, gänzlich umringt von Senegal, dem zwanzigmal größeren frankophonen Big Brother, mit dem die gemeinsame Konföderation Senegambia 1989 aufgelöst wurde.
Auf dem Gambia-Fluss, der Lebensader des Landes, wurde nach dem Untergang der Lady Chilel Jawara 1984 stromaufwärts jeder Linienverkehr eingestellt, von Wasserkraftwerken ganz zu schweigen. Dicht besiedelt ist nur der Küstenstreifen rund um Banjul, das frühere Bathurst. Die Energieversorgung ist lückenhaft: nur jede vierte Wohneinheit ist an das staatliche Stromnetz angeschlossen, und 80 Prozent der Staatsausgaben dienen dem Kauf von Öl für die Generatoren des Landes, die ab Sonnenuntergang zumindest Licht und manchmal auch Fernsehen in die gambischen Abende bringen: Die Primetime bestimmen Musikvideos, meist unterbrochen von politischen Belangsendungen ohne Belang.
Die Weltöffentlichkeit weiß wenig über den länglichen Zwergstaat, der so gerne ein Tourismusland sein möchte, weil man auf Erdnüssen heute keine Volkswirtschaft mehr aufbauen kann, wie das zu Kolonialzeiten noch möglich schien. Die sind freilich seit 1965 vorbei, doch immer noch gedeihen auf jedem zweiten Feld im Land Erdnüsse, die 78 Prozent sämtlicher Exporterlöse einbringen. Davon lässt sich zwar genügsam leben, doch haben es viele der Jungen satt. Das Durchschnittsalter liegt bei 17,7 Jahren.
Mitte der 1960er Jahre begann ein schwedisches Reisebüro, Pauschalreisen nach Gambia anzubieten. Bis 1989 stieg die Anzahl der Hotelbetten von 52 auf 4500. Gambia galt als touristischer Rohdiamant, dem nur der letzte Schliff fehlte, um den Strandhotels der senegalesischen Petite Côte Konkurrenz machen zu können.
Ruinierter Tourismus
Doch Jammeh hat es mehrfach erfolgreich geschafft, den aufkeimenden internationalen Fremdenverkehr zu ruinieren: 1994, gleich nach seinem Putsch, führte seine Militärjunta die Scharia ein, woraufhin die frühere Kolonialmacht Großbritannien Reisewarnungen aussprach und den jungen Tourismus ins Stocken brachte. Des lieben Friedens willen wurden 1996 demokratische Wahlen abgehalten, die Jammeh - was Wunder - deutlich gewann: Die europäischen Reisewarnungen wurden danach zwar aufgehoben, doch 1997 waren plötzlich All-inclusive-Anlagen verpönt, was zu einem Boykott aller Reiseveranstalter führte.
Gambia mangelt es nicht an touristischem Potential: Es gibt 108 Säugetierarten, 540 Vogel- und 530 Pflanzenarten, tropische Küsten, Feuchtgebiete und Savannen. Nach einer mehrjährigen Nachdenkpause lautet das neue alte Credo nunmehr Ökotourismus, das von der hastig gegründeten ASSET, der "Association of Small Scale Enterprises in Tourism" forciert werden soll. Diese residiert im Obergeschoß der einzigen Buchhandlung in Banjul, und strotzt nicht unbedingt vor Engagement - Herr Joseph tippt lieber Seancen auf seinem nagelneuen Laptop, als sich um potentielle Kundschaft zu kümmern.
Land der Roots-Saga
West Africa Tours, der größte Veranstalter des Landes, zeigt zumindest auf Aufforderung - aber bitte nicht in der zweistündigen Mittagspause! - ein farbkopiertes Wochenprogramm, einen Hof voller Tourbusse und gelangweilte Fahrer und Guides, die im Schatten der Mangobäume auf Business warten, das nicht von selber kommen will. Auch das Unesco-Weltkulturerbe rund um den "Roots Heritage Trail", dem Pulitzer-Preisträger Alex Haley 1976 mit seiner persönlichen Familiensaga zu weltweiter Bekanntheit verhalf, scheint sanft zu entschlummern: Mehr als drei Millionen Sklaven wurden Richtung Amerika verschleppt; der Strom an Afroamerikanern auf der Suche nach ihren Wurzeln im Umfeld von James Island, der winzigen Sklavenfort-Insel mitten im Gambia-Fluss, ist heute dennoch überschaubar - auch wenn Jermaine Jackson, Bruder der verstorbenen Pop-Ikone Michael, "sehr sehr oft wiederkommen und ein Teil von Gambia werden will", seit ihn der Präsident persönlich auf ein Volksfest mitgenommen hat.
Touristisch umtriebig sind bloß die Bumster, gut gebaute Rasta-Boys, die besonders gerne ältliche Touristinnen charmieren und mit ihnen nicht nur um den Kachikally Crocodile Pool flanieren. Aber Sextourismus darf es in dem muslimischen Kleinstaat offiziell nicht geben. Deshalb plant die Gambia Tourist Association die Aufstockung der Bettenkapazität auf 10.000 - in konventionellen Strandhotels, entlang der 80 km langen Küste, wo manche Resort-Bauten wohl nie vollendet werden. Zu viele Masseusen und Cashewnuss-Verkäuferinnen, muslimisch verhüllt, kümmern sich um zu wenige Urlauberinnen, manche davon recht (un)christlich unverhüllt. Zum Leben zu wenig, denn mit ein oder zwei Euro täglich lässt sich auch in Westafrika nur schwer durchkommen.
Binnen fünf Jahren soll Gambia eine wirtschaftliche Supermacht werden, verkündete Professor Jammeh gegen Ende seiner Siegesrede Ende vergangenen Jahres. Schon 1999 hatte ihm die kanadische Universität Saint Mary’s in Halifax den Ehrendoktortitel in Zivilrecht für Verdienste um Wohlstand, Frieden und Harmonie verliehen. Der Beitrag seiner Exzellenz zum nationalen Fortkommen kann sich sehen lassen: Schließlich ist er "durch göttliche Eingebung" in der Lage, Erektionsstörungen höchstpersönlich durch Handauflegen oder spezielle Kräutermischungen zu heilen.
Für Asthma und Aids benötigt er drei Tage, für Diabetes nur fünf Minuten. Das geht allerdings meist nur donnerstags, in einer eigenen Klinik in Bakau, wo sich die Bevölkerung gratis heilen lassen kann. Mitarbeiter der UN oder kirchlicher NGOs, die die präsidialen Therapiemethoden in Zweifel ziehen, werden umgehend des Landes verwiesen oder wegen Volksverhetzung mit Zwangsarbeit bedacht. Gegen andere (vermeintliche) Hexer wird ebenfalls streng vorgegangen: Nach dem Tod von Jammehs Tante wurden 2009 hunderte Dorfbewohner abgeholt, mit Regierungsbussen an geheime Orte gebracht und gezwungen, unter Trommelwirbel dubiose Entzauberungstrunke zu sich zu nehmen - angehalten von Schergen in roten Tunikas, die mit Spiegeln und Muscheln verziert waren. Laut Amnesty International waren schwere Durchfälle noch die harmloseste Folge; von Halluzinationen und Psychosen wurde berichtet. Der Tante hat es nicht mehr geholfen.
Meist trägt ihr berühmter Neffe ein Schwert, zumindest auf Propagandaplakaten. Damit will er Schwule und Lesben persönlich einen Kopf kürzer machen, was 2008 wieder einmal internationale Reisewarnungen ausgelöst hat, als ein homosexuelles Paar auf Strandurlaub kurzerhand verhaftet wurde: "It’s nice to be nice", der Standard-Spruch der Bumster und Beachboys des Landes, scheint ihrem Präsidenten fremd.
Der Mann hat mittlerweile hellseherische Fähigkeiten entwickelt: Er sei fähig, den Todeszeitpunkt eines Menschen exakt zu bestimmen - ein Blick in die Augen genüge. Ob die neue Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag, die aus Gambia stammende Juristin Fatou Bensouda, in ihrer Heimat Handlungsbedarf sieht, bleibt abzuwarten.
Günter Spreitzhofer, geb. 1966, ist Lektor am Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien; Arbeitsschwerpunkte: Tourismus, Urbanisierung & soziokulturelle Transformation.