Auf den ersten Blick scheinen die Fronten wie üblich zu verlaufen: Nach der Vorstellung des revidierten Lissabon-Planes zur Verbesserung der europäischen Wirtschaft durch José Manuel Barroso kritisierten Mitte-Links- und grüne Parteien die neuen Ziele als neo-liberal. Sozialistenführer im Europäischen Parlament meinten, hier würde nur der "amerikanische Zugang nachgeäfft". Alle Sozialisten? Nein. Peter Mandelson, britischer EU-Kommissar für Handel, würde das Programm als "New Labour"-Politik, wie sie Tony Blair betreibt, bezeichnen.
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"Wachstum und Jobs" - der Slogan, unter den Barroso sein Programm stellte - "sind die traditionellen Ziele der sozialdemokratischen Parteien", meinte Mandelson. "Wir brauchen Arbeitsplätze, um großzügige soziale Vorkehrungen treffen zu können."
Ähnlich hatte dies aus dem Mund von Barroso und Wettbewerbskommissar Günter Verheugen geklungen. Sie stellten allerdings die Rolle des Wirtschaftswachstums voran, das wiederum zur Schaffung von Arbeitsplätzen diene. Der Weg dazu ist für sie größere Liberalisierung, was wiederum beim Großteil der Linksparteien auf Widerstand stößt. Paul Nyrup Rasmussen, Präsident der sozialistischen Fraktion im EU-Parlament (SPE), wandte sich gegen eine "ökonomische Vision, die die Menschen und ihre Umwelt außer Acht lässt". Die Grünen nannten Barrosos Programm einen Rückschritt zu Vor-Lissabon-Zeiten.
Das wurde vom konservativen Vorsitzenden des Lissabon-Rates zurückgewiesen: "Ohne Wirtschaftswachstum wird unser Sozialsystem einfach zusammenbrechen". Exekutivdirektorin Ann Mettler holte gar zum Rundumschlag gegen Umweltschützer aus: "Ich wünschte, sie würde sich so um ihre Kinder und künftige Generationen kümmern, wie sie es bei Bäumen, Windkraft und Tieren tun."
Bereits im Vorfeld hatte die sozialistische SPE die Besorgnis geäußert, das europäische Sozialmodell und die Umweltpolitik könnten auf dem Altar von Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftswachstum geopfert werden. Die Vorschläge, die die Fraktion vorgelegt hat, unterscheiden sich aber nur zum Teil von dem, was Barroso in Aussicht stellt. Auch bei den Sozialisten findet sich beispielsweise eine Anhebung der Ausgaben für Forschung, Bildung und Weiterbildung auf drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (wie es übrigens auch schon in Lissabon 2000 vorgesehen war). Auch sie mahnen wie Barroso die Verantwortung der Mitgliedsstaaten ein. Unterschiedliche Nuancen finden sich aber in den Bereichen Umwelt, nachhaltige Energiepolitik und Verkehrswesen.
Dienstleistungsrichtlinie wird überarbeitet
Aufgeweichte Fronten gibt es auch bei einem zentralen Punkt der neu formulierten Lissabon-Strategie, der Dienstleistungsrichtlinie, die laut Plan heuer noch beschlossen werden soll. In ihrer strikten Ablehnung sind sich Sozialdemokraten und die konservative französische Regierung einig. Die Direktive sei "unannehmbar", meinte Frankreichs Premier Jean-Pierre Raffarin und versprach heftigen Widerstand. Kommissar Verheugen kündigte prompt eine grundlegende Überarbeitung an - allerdings werde der Entwurf nicht zurückgezogen, weil sonst zu viel Zeit verloren ginge, wie er am Donnerstag erklärte.
Auf eine vollständige Rücknahme hatte etwa der österreichische Städtebund gehofft. Denn wenn auch der Gedanke, den Wettbewerb zwischen Dienstleistern aller Art zu fördern, weitgehend unbestritten ist, wird am so genannte "Herkunftslandprinzip" Anstoß genommen. Dieses sieht vor, dass für die Erbringung der Dienstleistungen die Bedingungen des Herkunftslandes des Dienstleisters gelten soll.
Beispielsweise könnte ein tschechischer Betrieb in Österreich nach tschechischen Sozial- und Umweltnormen seine Leistungen anbieten - wie dies bereits für Waren gilt. Städtebund-Generalsekretär Erich Pramböck erwartet dadurch ebenso wie viele andere Kritiker Steuer- und Sozialdumping sowie Rechtsunsicherheit, etwa im Bauwesen. Der Städtebund befürchtet darüber hinaus, dass die Daseinsvorsorge (Abfallwirtschaft, Krankenhäuser, Wasserversorgung etc.) "durch die Hintertür" liberalisiert wird.
Auch bei der Chemikalienverordnung, die vorschreiben wird, dass alle in der Union verwendete Chemikalien auf ihre Auswirkungen auf Mensch und Umwelt getestet werden müssen, will Verheugen nun grundlegende Änderungen vorlegen. Die Vorschläge waren vor allem von der Industrie und einigen Staaten als zu bürokratisch und teuer abgelehnt worden.
Software-Patent aufgeschoben
Zurück an den Start heißt es auch für die Softwarepatentierung. Der Rechtsausschuss des EU-Parlaments hatte am Mittwochabend den Gesetzesvorschlag an die EU-Kommission zurück verwiesen. Damit muss das Gesetzgebungsverfahren neu starten. Strittiger Punkt ist die Erteilung von Patenten auf reine Software, etwa für den Balken beim Herunterladen von Dateien vom Internet. In den USA ist so ein Patent möglich, in Europa wird dadurch eine massive Behinderung kleiner Programmierer befürchtet.