Das Thema dieser Ausstellung entspricht dem in den letzten Jahrzehnten stärker werdenden Bedürfnis der Universitäten in Deutschland und Österreich nach einer Aufarbeitung der Zeit unter dem NS-Regime, bei welcher wissenschaftsgeschichtliche und institutionsgeschichtliche Zusammenhänge gleichermaßen berücksichtigt werden. Zuletzt hat im März 2001 ein von Historikern an der Universität Wien organisiertes Kolloquium über das Thema "Hochschulen und Wissenschaften im Nationalsozialismus und danach - Konstruierte Kontinuitäten?" diesen Bedarf bestätigt.
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In dieser internationalen Szenerie hat die Romanistik mehrmals die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit auf sich gezogen. Einerseits durch den Welterfolg der Tagebücher Viktor Klemperers, die mit beklemmender Eindringlichkeit den Weg vom Status eines sich geborgen wähnenden, zunächst sehr hierarchisch denkenden und fühlenden Dresdner Ordinarius für romanische Literaturwissenschaft zu jenem des gepeinigten Opfers eines Schreckensregimes nachzeichnen. Andererseits aber auch durch das Schicksal der Wiener Romanistin Elise Richter, die als erste Habilitierte und erste Professorin in Österreich und Deutschland eine Pionierrolle in der Geschichte der Frauen im universitären Kontext spielte und die im KZ Theresienstadt umkam.
Von Bedeutung war auch eine Reihe wissenschaftsgeschichtlicher Publikationen über die Romanistik im Dritten Reich, die mit Frank-Rutger Hausmanns großangelegter Darstellung im Jahr 2000 ihren vorläufigen Höhepunkt fand.
Die hier präsentierte Ausstellung soll einen relativ kleinen Ausschnitt in diesem Panorama darstellen. Eine Geschichte der romanistischen Forschung und Lehre in Wien stellt sicherlich ein Desiderat dar, dem in naher Zukunft im Rahmen eines weiterführenden Projekts entsprochen werden soll. Das aktuelle Unternehmen ist in seiner Zielsetzung enger: Das Konzept der Ausstellung thematisiert jene Aspekte der Institutsgeschichte, welche den Umgang von Lehrenden und Studierenden der Romanistik mit Diktatur, Fremdenhass und Antisemitismus deutlich werden lassen. Dabei soll auch eine Klarstellung gegenüber Äußerungen in der österreichischen Presse erfolgen, welche jüngst den Eindruck entstehen ließen, das Wiener Institut habe die düsteren Kapitel in seiner Vergangenheit auf fahrlässige Weise verdrängt.
Die Tatsache, daß hierarchische Strukturen in der akademischen Lehre und Forschung Österreichs traditionell vorherrschten, lenkt einen Rückblick in bestimmte vorgegebene Bahnen. Gemäß ihrer im Regelfall bürgerlichen Herkunft nahmen die ProfessorInnen der Romanistik eine Haltung zu ihrem Fach und ihrer Aufgabe ein, welche von Verantwortungsbewusstsein und einer zum Bewahren neigenden Disziplin geprägt war. Damit unterschieden sie sich kaum von den Ordinarien anderer Fächer. Unter der Diktatur machten sehr viele mit, arrangierten sich oder schwiegen.
Aus heutiger Sicht erscheint es nicht angebracht, das Verhalten einzelner Menschen undifferenziert anzuprangern oder zu pardonnieren. Aber wer die Dokumente sprechen läßt, kann nicht umhin, festzuhalten, dass es Angepasste und Distanzierte, Täter und Opfer unter den Lehrenden des Faches gab.
Eines der Charakteristika der Geschichte der Wiener Romanistik ist ihre ausgeprägte Diskontinuität, welche gerade nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zum Tragen kam. Die "Belasteten" wie Gerhard Moldenhauer und Josef Huber konnten nicht mehr am Institut Fuß fassen, auch wenn ihnen akademische Behörden im Inund Ausland teilweise sehr entgegenkamen. Die Neubestellten, Stefan Hofer und Josef Brüch (zunächst nur unterstützt von dem Dozenten Johann Sofer und der Assistentin Erika Kanduth) fühlten sich für die Aufrechterhaltung eines nach der teilweisen Zerstörung des alten Institutsgebäudes sehr prekär gewordenen Institutsbetriebes verantwortlich.
Ein Georg Rabuse, der 1965 an die Wiener Romanistik berufen werden sollte, fand erst nach Zurücksetzungen im Rahmen der "Entnazifizierung", nach Umwegen und einer radikalen Umorientierung seiner Laufbahn als Forscher und Lehrer in das akademische Leben zurück. Alle anderen Professoren der ersten Jahrzehnte nach dem Krieg kamen aus dem Ausland: Der Schweizer Carl Theodor Gossen, der in dem Wiener Institut neue Akzente setzte und meinte, unter die NS-Vergangenheit den Schlussstrich einer großen Weltoffenheit setzen zu können; der Deutsche Noyer-Weidner, der nach kurzem aber suggestivem Gastspiel wieder seine Zelte abbrach; der Wiener Wolfgang Pollak, der aus Frankfurt heimkehrte, um den Wind der kritischen Theorie an der Donau wehen zu lassen.
Sie waren durchwegs mit den Problemen einer Disziplin befasst, die in den 60er Jahren den Sprung vom Status einer verträumten Orchidee zum Massenfach, aber auch den Übergang zu neuen Inhalten, neuen Theorien und neuen Methoden zu schaffen hatte. Für die Konfrontation mit dem Totalitarismus blieb unter solchen Umständen wenig Zeit, was auch der Generaltendenz der österreichischen Öffentlichkeit, die sich lieber mit dem Neuaufbau der Wirtschaft als mit den Dämonen in der Vergangenheit abgab, entsprach.
Immerhin haben die Angehörigen des Wiener Instituts für Romanistik ab Ende der 70er Jahre mit der wissenschaftsgeschichtlichen Aufarbeitung begonnen, und dieser Prozess hat sich seither ständig intensiviert. Hervorzuheben ist, dass diese Forschungsarbeit und diese Publikationen hauptsächlich vom akademischen Mittelbau und von den AbsolventInnen des Instituts getragen wurden. Auf der Ebene der Ordinarien erscheint nur die Initiative von Wolfgang Pollak, die 1985 zur Inauguration einer Gedenktafel für Elise Richter führte, besonders bedeutsam.
Allgemein lässt sich aber während der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts eine Sensibilisierung der Institutsangehörigen für politische Aspekte ihres Faches beobachten. Sich solcher Themen wie Nationalismus, Kolonialismus, Geschlechterforschung, Minderheiten, Sprache und Macht, etc. in der romanistischen Forschung und Lehre anzunehmen, ist heute längst nicht mehr ein Anliegen von Pionieren und Außenseitern. Auch in einer solchen Entwicklung kann die aktuelle Antwort des Instituts auf die Geschichte seines Umganges mit dem Totalitarismus gesehen werden.
Die Ausstellung soll als ein Ergebnis der Kooperation des Instituts und der Fachbibliothek dazu beitragen, diese Geschichte für die RomanistInnen selbst, aber auch für alle Interessierten jenseits des Instituts, zugänglicher zu machen.
Univ.-Prof. Dr. Fritz Peter Kirsch lehrt am Institut für Romanistik in Wien.