In der Corona-Krise setzen Großmächte auf ihre eigene Stärke.
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Während im Westen die Corona-Berichterstattung alles dominiert und politische Debatten diktiert, positioniert sich China bereits für die Zeit danach. Die USA und Europa sind zu sehr mit sich beschäftigt, um geopolitischen Konsequenzen die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. Der Kreml möchte die Entwicklung möglichst unbehelligt überstehen, nutzt aber jede Gelegenheit, international an Terrain und Einfluss zu gewinnen. Internationale Organisationen hingegen - allen voran die UNO - verlieren weiter an Bedeutung.
Die internationalen Beziehungen sind schon seit geraumer Zeit vom Ringen um Dominanz im indo-pazifischen Raum geprägt. Während China bestrebt ist, seine politische und militärische Präsenz und Position systematisch auszubauen, sind die USA damit beschäftigt, ihre regionalen Verbündeten wie Japan, Südkorea oder den Philippinen vom Festhalten an ihrer strategischen Allianz zu überzeugen. China setzt nun vermehrt auf regionale Zusammenarbeit mit den Asean-Staaten, um den Einfluss der USA zu reduzieren. Nach Europa rangieren die südostasiatischen Staaten schon auf Rang zwei als Handelspartner - vor den USA. Das US-Militärkommando für den Indo-Pazifik fordert bereits zusätzliche 20 Milliarden Dollar, um sich besser auf erwartbare Auseinandersetzungen mit den chinesischen Streitkräften vorbereiten zu können.
Hotspot Iran, EU unter Druck
Einen weiteren Hotspot bildet unverändert die Isolierung des Iran durch die USA. Die Führung in Teheran steht bereits mit dem Rücken zur Wand, die rasante Verbreitung des Coronavirus verschlimmert die Lage zusätzlich. Hier tut sich aber auch ein Hoffnungsschimmer auf, weil die EU erstmals Instex einsetzt - ein Programm zur Umgehung der US-Sanktionen -, um medizinische Güter zu liefern. Das Weiße Haus hat zudem die Möglichkeit zur nuklearen Zusammenarbeit verlängert. Ein Kollaps des iranischen Gesundheitssystems könnte ungeahnte politische Folgen im Lande und im gesamten Mittleren Osten haben.
Russlands Präsident Wladimir Putin ließ die Grenzen zu China rasch schließen und verordnete seinen Landsleuten "Hausarrest", um ein Übergreifen der Pandemie zu verhindern. Konkrete Zahlen über Erkrankte oder die Ausbreitung des Virus gibt es, ihre Aussagekraft darf jedoch bezweifelt werden. Außenpolitisch bleibt der Kreml aber in Syrien, in afrikanischen Staaten und auch als strategischer Partner Venezuelas äußerst aktiv. Hilfslieferungen von medizinischem Material in die USA erregen zwar mediale Aufmerksamkeit, dürften aber eher propagandistische als vertrauensbildende Zwecke verfolgen. Dem Kreml wird auch vorgeworfen, Fake News zu Covid-19 in Europa zu verbreiten, um Gerüchte zu streuen und das Vertrauen in Behörden und Institutionen zu untergraben. Putin propagiert die Pandemie auch als "westliches Problem" und vergisst dabei geflissentlich auf China.
Die EU hat bereits einen schweren innen- und außenpolitischen Imageschaden erlitten. Sie wird bei der Ausgestaltung der internationalen Beziehungen in absehbarer Zeit keine besondere Rolle spielen, könnte aber aufgrund der unzähligen strategischen Erfahrungen einen Neustart wagen. Sie gerät aber unter zunehmenden Druck seitens Chinas und der USA, die Europa und europäische Staaten für sich vereinnahmen wollen und klare Positionierungen einfordern. China nutzt die derzeitige Schwäche der EU und unterstützt ganz gezielt EU-Nachbarn oder EU-Anwärter, um seinen politischen Einfluss auszubauen.
Gerade angesichts der Corona-Herausforderung setzen große wie kleine Staaten mehr denn je auf nationale Ansätze. Grenzen werden geschlossen, Schutzausrüstungen auf fragwürdige Weise anderen Staaten weggeschnappt, und die Veto-Mächte China und Russland verhindern, dass die Bekämpfung der Pandemie im UN-Sicherheitsrat behandelt wird. Man will weder Verpflichtungen eingehen noch Einblick ins eigene Land gewähren.
Globale Propagandaschlacht
Bisherige Entwicklungen verstärken die Trends in den internationalen Beziehungen. Die These von der Rückkehr der Geopolitik findet eine eindrucksvolle Bestätigung. Großmächte setzen dabei auf ihre eigene Stärke, multilaterale Lösungsansätze werden nicht verfolgt und internationalen Organisationen keine Lösungskompetenz zugetraut oder zugebilligt.
Die USA, China und Russland sehen sich aufgrund der bisherigen Entwicklungen in ihren nationalen Alleingängen bestätigt. Jede Hauptstadt versucht bereits, ihr politisches System als "überlegen" darzustellen, die dazugehörige Propagandaschlacht hat bereits eingesetzt. Vor allem China möchte sein Narrativ vom überlegenen politischen System innen- und außenpolitisch vorantreiben, sich als verlässlicher und mildtätiger Partner darstellen und aus der Situation politisches und ökonomisches Kapital schlagen.