Das erste Mal seit 1989 könnte die Kommunistische Partei an einer Regierung in Tschechien teilhaben.
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Prag/Wien. An diesem Ort ist die US-Flagge eine Provokation. Bei den Feiern zum 1. Mai der Kommunistischen Partei (KSCM) in Prag schwenkten Teilnehmer einer antikommunistischen Gegendemonstration das Sternenbanner. Es kam auch zu hitzigen Wortgefechten mit den Parteigängern der Kommunisten, wobei es nicht beim verbalen Austausch von Argumenten blieb. Ein Video des Onlineportals der Zeitung "Dnes" zeigt, wie ein Anhänger der Kommunisten seine Hose hinunterlässt und sich auf sein noch mit der Unterhose bedecktes Gesäß klopft, um den Gegendemonstranten seine Meinung über sie kundzutun.
Die US-Flagge steht für das, was Tschechiens Kommunisten ablehnen: Nato und Kapitalismus. Die KSCM hat sich nie reformiert. Die heutigen Kommunisten bedauern zwar einzelne Verbrechen während der sozialistischen Diktatur, doch glauben sie weiterhin, dass es nichts Besseres als die Zeit ihrer Herrschaft gab. "Die Kommunisten sind eine Retropartei mit altväterlichem Habitus, die zudem auch sehr stark auf eine nationalistische Agenda setzt", analysiert der Historiker Niklas Perzi, der seit Jahren zu Tschechien forscht und publiziert, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
Die KSCM ist nämlich noch immer sehr antideutsch, was sich in dem historischen Zusammenhang dieser Partei vor allem in der weiterhin negativen Haltung gegenüber Sudetendeutschen zeigt. Dafür pflegt sie eine große Nähe zu Russland und noch mehr zu den verbliebenen von Kommunisten beherrschten Ein-Parteien-Staaten wie etwa Kuba oder China.
Nun soll diese Partei erstmals seit der Samtenen Revolution, die 1989 die sozialistische Diktatur beendete, wieder eine tragende Rolle spielen. Die KSCM soll eine Minderheitsregierung, die die Bewegung ANO des Milliardärs Andrej Babis und die Sozialdemokraten (CSSD) bilden wollen, dulden.
Seit der Wahl im Oktober sucht Tschechien eine neue Regierung. Derzeit regiert ein von Babis angeführtes Übergangskabinett, das aber keine Mehrheit im Parlament besitzt. Die populistische Bewegung ANO ist ganz auf ihren Gründer und Großfinancier Babis zugeschnitten. Der gebürtige Slowake hat mit Agrofert einen Mischkonzern mit mehr als 30.000 Mitarbeitern aufgebaut und mit seinem Versprechen, auch den Staat wie eine Firma zu führen, die Parlamentswahl mit fast 30 Prozent der Stimmen klar gewonnen.
Mehrheit gegen Posten
Doch tut sich ANO schwer, unter den restlichen acht Parteien Koalitionspartner zu finden - zumal Babis mit dem Vorwurf konfrontiert ist, dass bei der Errichtung des Wellness-Resorts Storchennest EU-Subventionsgelder widerrechtlich erschlichen wurden.
Doch mit den Sozialdemokraten scheinen die Verhandlungen nun weit gediehen, bis Ende der Woche soll der Pakt stehen. ANO kam den Sozialdemokraten offenbar bei sozialen Forderungen entgegen, so soll es nun mehr Zuschüsse für Familien geben.
Aber noch stehen einige Hürden im Weg. Die CSSD will Babis in keinem Regierungsamt sehen, sobald dieser erstinstanzlich wegen der Storchennest-Affäre verurteilt wird - auch, wenn das Urteil noch nicht rechtskräftig ist. ANO will so einen Passus aber keinesfalls im Koalitionsvertrag stehen haben. Zudem wird die CSSD noch ihre Mitglieder über den Vertrag abstimmen lassen.
Und dann ist da noch das Problem, dass CSSD und ANO gemeinsam nur 93 der 200 Sitze im tschechischen Parlament auf sich vereinen. Hier kommen nun die Kommunisten ins Spiel: Mit ihren 15 Mandaten wäre eine Mehrheit von 108 Sitzen erreicht.
Laut Medienberichten erhalten die Kommunisten für ihre Mehrheitsbeschaffung Posten in der Administration und in Staatsbetrieben. Die KSCM selbst sagt, dass sie mit ihrer Duldung Einfluss auf soziale Fragen nehmen will.
Nationaler Tabubruch
Tatsächlich entspreche die neue Rolle dem Selbstverständnis der Kommunisten, die sich vor allem auf ältere Wähler stützen, erklärt Perzi. "Sie wollen nicht radikale Opposition sein, sondern begreifen sich als Partei des Volkes", sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter an der Österreichischen Akademie der Wissenshaften.
Auf Kreisebene haben die Kommunisten schon mitregiert, dass sie nun auch auf nationaler Ebene zum Zug kommen, sei aber ein "Tabubruch der anderen", meint Perzi. Er erwartet sich zwar einen Aufschrei von kritischen Intellektuellen, aber kein breit angelegtes öffentliches Aufbegehren, da für die meisten Bürger wirtschaftliche Fragen im Vordergrund stünden. Bis vor rund zehn Jahren gab es noch einen starken antikommunistischen Konsens. "Dieser Konsens, der tief in das liberale Spektrum hineingeht, ist nun nur noch Sache einer Minderheit", sagt Perzi.