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In den USA ist es längst so weit - gewinnen auch in Österreich die Kulturkämpfer die Oberhand in der politischen Auseinandersetzung?
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In den USA tobt ein Kulturkampf zwischen zwei einander unversöhnlich gegenüberstehenden gesellschaftlichen Lagern. Der "Melting pot" war einmal, stattdessen kämpfen progressiv-liberale Etatisten gegen christlich-konservative Anti-Etatisten erbittert und mit allen Mitteln um die Vorherrschaft im öffentlichen Leben.
Kompromisse sind dabei auch deshalb kaum möglich, weil die beiden Lager in ihrem Alltag einander kaum begegnen. Sie leben tatsächlich in unterschiedlichen Lebenswelten. Und zur psychologischen Kriegsführung in dieser Auseinandersetzung zwischen den Kräften des Lichts und der Finsternis gehört natürlich auch die Behauptung, der jeweils andere habe sich auf unzulässige Weise ein Übergewicht an den strategischen Schalthebeln der Macht verschafft: Fox News gegen Hollywood, Tea Party gegen Washington, Provinzblätter gegen die großen Ostküsten-Zeitungen .. .
In Österreich ist es so, dass die Ära der großen gesellschaftspolitischen Lager eigentlich seit Jahrzehnten als beendet angesehen wird. Die Konfrontationslinie zwischen Christsozialen, Sozialdemokraten und - wenngleich in geringerem Ausmaß - Deutschnationalen prägte die politischen Auseinandersetzungen bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Auch hier war es so, dass allenfalls die Eliten miteinander in Berührung kamen und kooperierten, die breite Basis jedoch in jeweils eigenen Lebenswelten existierte.
Ab den 1970ern begannen diese Lager jedoch zu erodieren, das Phänomen der Wechselwähler setzte zu seinem Siegeszug an. Der dauert zwar bis heute unvermindert an, dennoch werden auch in Österreich die Anzeichen für ein Wiedererstarken eines Kulturkampfes zwischen Konservativen und Progressiven stärker. Im Kern geht es dabei um nichts weniger als um die gesellschaftspolitische Deutungshoheit über das, was die österreichische Identität nach dem Verlust alter Sicherheiten ausmacht. Bei Bedarf wird auch gerne auf das Wesen Europas rekurriert.
Interessanterweise hat es den Anschein, als ob sich die große offizielle Politik aus dieser Auseinandersetzung heraushalten will - sowohl SPÖ als auch ÖVP scheuen vor einer klaren Positionierung zurück. Der anschwellende Richtungsstreit wird vorerst noch auf beiden Seiten von Akteuren mit Missionierungsdrang getragen. Einzig Grüne und Freiheitliche haben sich in dieser Sache klar deklariert, beide sehen darin offensichtlichen ein künftiges zentrales Schlachtfeld für die Parteipolitik.
Wie in den USA wird auch in Österreich jeweils die Gegenseite beschuldigt, sich die Oberhoheit im öffentlichen Diskurs erschlichen zu haben - wobei sich beide Seiten gleichzeitig auf der Verliererseite wähnen: Die Progressiven unterstellen rechtem Boulevard und Bundesländer-Zeitungen die Deutungshoheit im Land, Konservative attestieren diese Machtpositionen einem in ihren Augen ausschließlich linksliberalen ORF.
Noch scheint dieser Kulturkampf in erster Linie eine Sache der Hochpolitisierten zu sein, eine Nischenangelegenheit also, für das Gros der Bürger stehen nach wie vor einzelne Sachfragen im Vordergrund.
Dennoch: Angesichts der in den vergangenen Jahren zunehmend knapper werdenden Wahlergebnisse können solche hochmotivierten und kommunikationstechnisch gut gerüsteten politischen Kreuzfahrer zum entscheidenden Zünglein an der Waage werden. Und sei es, wenn es nur um das Ausmaß einer Niederlage geht. Die Wiener ÖVP hat das jüngst schmerzhaft zu spüren bekommen.