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Die Rückkehr der Leyla Zana

Von WZ Online

Europaarchiv

Weil sie kurdisch sprach, wurde sie verhaftet. | Istanbul. Wird sie, oder wird sie nicht? Wenn die 550 frisch gewählten Abgeordneten des türkischen Parlamentes in einigen Wochen zur konstituierenden Sitzung und zur Vereidigung in Ankara zusammenkommen, werden sich alle Augen auf eine 50-jährige Frau aus dem kurdischen Südosten richten.


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Vor genau zwanzig Jahren stand Zana schon einmal am Podium des Parlaments und legte ihren Amtseid ab. Damals fügte sie einige Worte in kurdischer Sprache hinzu - und wurde ins Gefängnis gesteckt. Nun fragt sich die türkische Öffentlichkeit, was Zana diesmal tun wird.

Zanas Rückkehr ins Parlament von Ankara ist der vorläufige Höhepunkt einer bemerkenswerten politischen Karriere. Als sie 1991 als 30-Jährige ihre türkische Eidesformel mit dem kurdischen Satz ergänzte, sie wolle sich für das brüderliche Zusammenleben von Türken und Kurden einsetzen, brach ein Sturm der Entrüstung los. Die kurdische Sprache galt als Vehikel der separatistischen Rebellengruppe Arbeiterpartei Kurdistans (PKK); kurdische Politiker wie Zana waren in den Augen des türkischen Staates bloß Handlanger der als Terrororganisation eingestuften PKK.

Deshalb endete Zanas erste Laufbahn als Parlamentarierin, bevor sie richtig angefangen hatte. Das Parlament hob ihre eben erst gewonnene Immunität auf. Zusammen mit anderen Politikern der damaligen Kurdenpartei DEP wurde sie unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft in der PKK vor Gericht gestellt und verurteilt. Erst im Jahr 2004 kam Zana wieder frei. Hinter Gittern war sie mit dem Sacharow-Menschenrechtspreis des EU-Parlamentes ausgezeichnet worden. Als sie das Gefängnis verließ, war sie für viele Kurden zur Heldin geworden.

Auch nach ihrer Entlassung wurde Zana von der türkischen Justiz immer wieder wegen mutmaßlicher Unterstützung der PKK ins Visier genommen. Kurz vor der Parlamentswahl vom Sonntag wollte der von nationalistischen Hardlinern dominierte Wahlausschuss in Ankara die Kandidatur der Politikerin verbieten. Ein Aufschrei in der Öffentlichkeit - auch der nicht-kurdischen Parteien - verhinderte dies. Spätestens damit war klar, dass sie ins Parlament zurückkehren würde, denn in ihrer Heimatstadt Diyarbakir im türkischen Südosten ist Zana ebenso bekannt wie beliebt. Am Sonntag gewann sie dort mit 75.000 Stimmen ein Direktmandat.

Im Parlament wird Zana ein führendes Mitglied der neuen Kurdenfraktion sein, die mit 36 Abgeordneten die stärkste sein wird, die es bisher in einem türkischen Parlament gab. Zusammen mit ihren Kollegen von der Kurdenpartei BDP wird Zana dafür sorgen, dass die Forderung nach einer Lösung des Kurdenproblems auf der politischen Tagesordnung bleibt.

Und was wird sie bei der Vereidigung tun? Inzwischen haben mehrere Kurdenpolitiker im Parlament Kurdisch gesprochen, ohne dass sie belangt wurden. Viele Verbote der Vergangenheit wurden aufgehoben, an türkischen Universitäten werden Institute für Kurdische Sprache und Literatur eingerichtet, im Fernsehen gibt es einen staatlichen Kurdensender.

Zana weiß, dass man sie bei der Vereidigung sehr genau beobachten wird. Und deshalb spielt sie mit der Erwartung, dass sie auch bei ihrem zweiten Einzug ins Parlament alte Tabus brechen wird. "Wer weiß", sagte sie schon vor der Wahl, "vielleicht komme ich diesmal mit Kopftuch."