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Die Rückkehr des Krieges

Von Isolde Charim

Gastkommentare

Demokratie wird zusehends zum Ausnahmemodell.


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Der Krieg ist wieder aufgetaucht. Für uns friedensverwöhnte Nachkriegseuropäer findet dieser "Sommer der Kriege" ("Die Zeit") zwar weit entfernt an anderen Orten der Welt statt. Aber trotz dieser Distanz betrifft er uns auch - und das in mehrfacher Hinsicht.

Er betrifft uns im Sinne von Betroffensein. Etwa durch das Video, das der grüne EU-Abgeordnete Michel Reimon bei seiner mutigen Reise in den Nordirak gemacht hat - dort, wo zehntausende Jesiden, die vor der Gewalt der IS-Horden ("Islamischer Staat") in die Berge geflüchtet waren, festsaßen. Reimon begleitete einen Helikopterflug, der Hilfsgüter abwarf und einzelne, wenige Jesiden retten konnte - und filmte das alles. Der IS geht nicht nur mit abgrundtiefer Gewalt vor. Er führt auch eine gekonnte Medienoffensive mit den Bildern seiner unfassbaren Brutalität. Michel Reimon ist die mediale Ein-Mann-Gegenoffensive. Er produzierte Gegenbilder, die mit der Nachdrücklichkeit der Authentizität die Opfer zeigen und die verzweifelten und schwierigen Versuche zu helfen, zu retten.

Der wiedergekehrte Krieg betrifft uns hier aber auch, weil seine Ausbreitung uns immer mehr zu einer Insel macht - geographisch und politisch. Es ist heute beim Modell der parlamentarischen Demokratie ähnlich wie bei der Säkularisierung. Lange dachte man in Europa, säkularisierte Gesellschaften hätten sich als allgemeingültiges Modell durchgesetzt und religiöse Gesellschaften und Regime wären die Ausnahme. Seit Ende der 1970er Jahren hat eine schleichende Entwicklung dieses Verhältnis umgekehrt. Zunehmend wird die Säkularisierung zur Ausnahme in einer "postsäkularen" Welt (Jürgen Habermas). Mit der Demokratie verhält es sich mittlerweile ähnlich: Von einem allgemeinen Modell entwickelt sie sich zunehmend zum Ausnahmemodell. Ein gefährdetes Ausnahmemodell, das von zwei Seiten umzingelt wird: zum einen von autoritären, autokratischen Regimen, wie man sie mittlerweile von Ungarn über die Türkei bis nach Ägypten findet. Ägypten ist auch das Stichwort für die zweite Seite: Denn der Alptraum, zu dem die "Arabellion" geworden ist, hat auch jene gescheiterten Staaten hervorgebracht, die Aufmarschgebiet des rabiatesten, des extremistischsten Fundamentalismus sind. Hier fallen Anti-Säkularismus und Anti-Demokratie in eins. Hier wird die säkulare Demokratie doppelt herausgefordert. Und gleichzeitig zeigt sich, wie wichtig funktionierende demokratische Staaten als Regulierungs- und Hegungsinstanz sind. (Auch wenn das anarchistischen Seelen nicht gefällt.) Es zeigt, dass wir beides - Säkularisierung und Demokratie - verteidigen müssen. Und sei es nur das Bisschen, das wir davon haben.

In seiner radikalsten Version, dem IS, betrifft uns der wiederkehrende Krieg hier aber auch deshalb, weil dies auch ein Krieg gegen die demokratische Lebensform ist - ein Krieg gegen den Hedonismus. Die Gotteskrieger sind fundamentalistische, totalitäre Asketen. Ihr Kampf richtet sich gleichermaßen gegen Säkularisierung, Demokratie und Hedonismus. Unversehens wird plötzlich das, was als das Unpolitischste überhaupt verschrien war, zu einem Politikum: der Genuss. Er wird zur politisch aufgeladenen demokratischen Lebensform, gegen die ein autoritärer religiöser Wahn blutig zu Felde zieht.