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Die Rückkehr zur Großmacht

Von Gerhard Lechner

Politik

Putin plant Eurasische Union in Konkurrenz zum Westen.


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Moskau/Kiew. Der Satz soll im Kreml auf nachhaltigen Widerhall gestoßen sein. Bis heute. Obwohl er bereits aus den 1990er Jahren stammt. "Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr", schrieb der polnischstämmige US-Geopolitiker Zbigniew Brzezinski 1997 in seinem auch in Russland viel beachteten Buch "The Grand Chessboard". Auf Deutsch ist das Werk unter dem Titel "Die einzige Weltmacht" erschienen - und damit waren in den 1990er Jahren, nach dem Ende des Kalten Krieges, wie selbstverständlich die USA gemeint. Der - zumindest damals - nicht gerade als Russenfreund bekannte Brzezinski führte dann weiter aus: "Es (Russland) kann trotzdem nach einem imperialen Status streben, würde aber dann ein vorwiegend asiatisches Reich werden."

Die Ukraine, der kleinere "slawische Bruder", ist für Russlands Präsident Wladimir Putin tatsächlich von eminenter politischer wie strategischer Bedeutung. Und diese Woche dürfte im Kreml das eine oder andere Wodkaglas gekippt worden sein: Als nämlich die ukrainische Regierung ihr Dekret veröffentlichte, wonach das Land am Dnjepr das angestrebte Abkommen mit der EU auf Eis legt, und dazu noch den Vorschlag Putins getreu übernahm, stattdessen eine Handelskommission mit der EU und Russland bilden zu wollen. Die EU-Integration Kiews - das 1200 Seiten starke Assoziierungsabkommen mit Brüssel hätte eine enge Kooperation in der Außenpolitik, in Justiz- und Grundrechtsfragen vorgesehen - scheint zumindest vorübergehend gestoppt. Einmal umgesetzt, hätte das Abkommen die kulturell mit Russland eng verwobene Ukraine von Moskau deutlich unabhängiger gemacht: Kiew hätte schrittweise die Vorschriften und Normen der EU annehmen müssen, auch ein fast vollständiger Freihandel zwischen beiden Seiten war vorgesehen.

Eine Entwicklung, die Russland nicht gefallen konnte - wälzt man doch eigene "eurasische" Pläne. Im Jahr 2015 will Russland auf der Basis seiner Zollunion eine "Eurasische Union" ins Leben rufen - ein Projekt, das ohne die Mitgliedschaft der Ukraine nur ein Papiertiger bliebe. Zwar hat sich zuletzt - neben den Fixstartern Weißrussland und Kasachstan - auch Armenien dazu entschlossen, der EU und ihrem Ostprojekt abzusagen und sich stattdessen Putins eurasischen Plänen zugewandt. Doch Armenien ist - ebenso wie die anderen "eurasischen" Kandidatenländer Kirgisistan und Tadschikistan - ein bitterarmes Land ohne allzu große Perspektiven. Zwar steckt auch die Ukraine in finanziellen Schwierigkeiten - der Gewinn des Nachbarlandes von enormer geostrategischer Bedeutung, das nach Russland der größte Flächenstaat Europas ist und 45 Millionen Einwohner aufweist, würde aber wohl auch ökonomische Hilfsleistungen wie etwa Nachlässe beim Gaspreis rechtfertigen.

Schock für Moskau

Wie zentral die Bedeutung des Landes für Russland ist, sah man auch während des Zusammenbruchs der Sowjetunion, den Putin einmal als "größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts" bezeichnet hat. Die GUS, die extrem lose "Gemeinschaft Unabhängiger Staaten", war ursprünglich als eine Art Nachfolgestaat der UdSSR geplant. Doch der damalige ukrainische Präsident Leonid Krawtschuk verweigerte sich den Plänen seines russischen Kollegen Jelzin. Der Abfall der Ukraine wirkte in Moskau wie ein Schock. Gruppen wie die Schwarzhemden der rechtsextremen "Pamjat"-Bewegung wurden populär, die "Nationalbolschewiken" unter ihrem Mitbegründer Alexander Dugin propagierten als Ziel die Schaffung eines neuen, großen russischen Reiches in Opposition zu den USA. Dugin ist heute Politologe und propagiert in Talk-Shows sein "eurasisches" Konzept für Russland. Wie weit sein Einfluss reicht, ist ungewiss.

Gewisser ist da schon, dass das, was im Westen als russischer Expansionismus bezeichnet wird, als Wiedererrichtung der Sowjetunion in neuem Antlitz, aus der Sicht des Kreml ein Akt der Verteidigung ist. Die Angreiferrolle spielt dabei der Westen. Das Gefühl, dass der gegenüber dem Westen relativ kooperative Ex-Präsident Dmitri Medwedew bei der Libyenkrise, die zum Sturz von Muammar Gaddafi als Staatschef in Tripolis und zu dessen Ermordung führte, vom Westen übervorteilt worden ist, soll Putin wesentlich zu seiner Rückkehr in den Kreml bewogen haben. Im Fall Syriens und in dem des flüchtigen Ex-NSA-Mitarbeiters Edward Snowden bot er den USA entschlossen die Stirn.

Expansion als Reaktion

Spätestens seit seiner Rede auf der Sicherheitskonferenz in München 2007 pocht Putin auf eine "multilaterale" Welt. Diese gegen den Menschenrechtsuniversalismus des Westens gerichtete Ordnung, die im Zweifelsfall auf die Nichteinmischung in die Belange souveräner Staaten setzt (außer sie befinden sich im "nahen Ausland", wie die Ukraine), sieht Moskau in erster Linie vom Westen bedroht: Dessen Pläne für einen europäischen Raketenschild, der Abschussrampen rund um Russland vorsieht, etwa in Rumänien und Polen, sieht man trotz westlicher Beteuerungen, dass der Schild vor Raketen aus dem Iran oder Nordkorea schützen soll, als gegen sich gerichtet an. Schließlich haben sich die USA bis heute nicht dazu bewegen lassen, Russland in einem völkerrechtlich verbindlichen Dokument zu versichern, dass sich das Raketen-System nicht gegen Russland richtet. Moskau sieht den Westen nicht zum ersten Mal als Störenfried an: Schon die Expansion nach Europa im 17. Jahrhundert wird als Reaktion auf polnische Expansionsgelüste interpretiert. Und auch die Kriege gegen Napoleon und Hitler haben sich als Verteidigungskriege ins russische Gedächtnis eingebrannt.