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"Die Russen können die Show genießen"

Von Simone Brunner

Politik

Der britische Politologe Mark Galeotti über das Treffen zwischen Donald Trump und Wladimir Putin und warum er selbst glaubt, dass sich die Beziehungen zwischen dem Kreml und dem Westen wieder entspannen werden.


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"Wiener Zeitung": "Besser als super", hat der russische Außenminister Sergej Lawrow das Treffen von Donald Trump und Wladimir Putin in Helsinki bezeichnet. War das wirklich so ein Erfolg für den Kreml?Mark Galeotti: Eigentlich schon. Im Vorfeld gab es viele Spekulationen: Etwa, dass US-Präsident Trump die Krim als russisch anerkennt oder die Nato schwächt. Dass nichts davon passieren wird, ist den Russen schon früh klar geworden. Im Zentrum stand also die Message, dass Putin auf Augenhöhe mit dem US-Präsidenten spricht. Putin gab sich staatsmännisch, im Gegensatz zu Trump. Und während dieser derzeit beschäftigt ist, von seinen Aussagen zur russischen Einmischung in den US-Wahlkampf zurückzurudern, können sich die Russen zurücklehnen und die Show genießen.

Also alles nur Symbolik?

Putin inszeniert sich gerne als Großmachtpolitiker. Das entspricht zwar nicht der Realität, denn abgesehen von seinem nuklearen Potenzial ist Russland keine Supermacht, sondern ein Land mit geringer Soft Power und mit vielen wirtschaftlichen und demografischen Herausforderungen. Aber mit dem Treffen konnte Putin zeigen: Russland ist zurück.

Derweil schäumt Washington über Trumps Auftritt. Viele im US-Kongress und im Senat denken laut darüber nach, den Druck auf Russland weiter zu erhöhen. Könnte die Show für den Kreml nicht auch nach hinten losgehen?

In den USA haben wir derzeit faktisch drei Parteien: die Demokraten, die Republikaner und Trump. Mit den Republikanern ist Trump in einer Art Koalition, und da gibt es nun mal Spannungen. Vor allem unter den Republikanern gibt es viele, die Russland nicht gewogen sind. Aber gerade vor den Zwischenwahlen in den USA im Herbst brauchen sie Trump. Bis dahin wird also nicht viel passieren. Im Übrigen ist es politisch ziemlich irrelevant, wie die persönlichen Beziehungen zwischen Trump und Putin sind. So hat Donald Trump seine Freundschaft zu Xi Jinping Trump auch nicht von einem US-Handelskrieg mit China abgehalten. Genauso wenig wie seine Beziehungen zu Putin verhindert haben, dass die USA russische Diplomaten ausweisen und die Sanktionen verschärfen. Im Übrigen glaube ich nicht, dass die Russen so wahnsinnig glücklich mit Trump sind.

Wie kommen Sie darauf?

Der Kreml ist beunruhigt, dass Trump so unberechenbar ist. Die Russen wollen selbst wissen, wo die Grenzen und die roten Linien sind, weil sie gerne die Rolle des unvorhersehbaren Hasardeurs einnehmen. Mit Trump klappt das aber nicht mehr.

Wie sehen Sie dann die Debatte um die russische Einmischung in den US-Wahlkampf?Vor der Wahl Trumps war ich in Moskau. Keiner meiner Gesprächspartner - ob nun im Außenministerium oder im Sicherheitsrat - hatte Zweifel daran, dass Hillary Clinton gewinnen wird. Ein Beamter im Außenministerium war sogar davon überzeugt, dass die US-Demokratie so sehr gelenkt ist, dass das US-Establishment einen Sieg Trumps schlichtweg nicht zulassen würde. Dann waren sie selbst geschockt. Viele Russen gingen davon aus, dass Hillary Clinton eine Gegnerin Russlands sein wird, sogar der Versuch eines regime change in Moskau wurde ihr zugetraut. Ob das nun eine realistische Einschätzung ist, sei dahingestellt - aber aus meiner Sicht wollten die Russen mit dem Hacking nicht das Ergebnis direkt beeinflussen, sondern es ging ihnen vielmehr darum, ein politisches Feuer zu entfachen, mit dem Clinton erst mal so beschäftigt sein wird, dass sie keine Zeit und kein politisches Kapital mehr haben wird, um sich auch noch um Russland zu kümmern.

Es ging also darum, Chaos zu stiften?

Genau. Die Ultra-Nationalisten, die in der russischen Duma mit Champagner auf Trumps Sieg angestoßen haben, die gab es natürlich auch. Aber die seriösen Beamten waren eigentlich geschockt: Was bedeutet das jetzt? Sie hatten selbst keine Ahnung, wie sie mit dieser neuen, unerwarteten Situation umgehen sollen.

Nun zu Putin. Ein großes Fragezeichen hängt über seiner letzten Amtszeit: Wie wird es nach 2024 weiter gehen?

Putin ist gelangweilt. Es macht ihm sichtlich keinen Spaß mehr, Präsident zu sein. In seinen ersten Amtszeiten war er viel aktiver, er ist durch das ganze Land gereist. Heute verlässt er kaum noch den Kreml-Palast und kümmert sich nur noch um Außenpolitik und Verteidigung. Viele in Moskau gehen davon aus, dass Putin schon vorzeitig abtreten könnte, wenn er einen Nachfolger gefunden hat. Wie damals bei Boris Jelzin: Dadurch hatte Putin den Vorteil, dass er schon im Amt war, als er eigentlich erst gewählt wurde.

Wer könnte denn dieser Nachfolger sein?

Jemand, dem er vertraut. Es kann auch sein, dass er diese Person nicht findet. Aber wenn er überzeugt ist, dass es die richtige Person ist, dann wäre ich nicht überrascht, wenn er vorzeitig abtritt. Überhaupt bin ich - ganz gegen den Trend - eher optimistisch, was Russland angeht. Ich denke, dass das nächste Regime außenpolitisch pragmatischer sein wird. Russland hat große Potenziale, aber um diese auszuschöpfen, braucht es gute Beziehungen zum Westen.

Zugleich ist antiwestliche Rhetorik eine wichtige Machtressource für Putin, wie wir erst zuletzt bei den Präsidentschaftswahlen gesehen haben. Was macht Sie so optimistisch?

Putin konnte ja schlecht mit der Lebensqualität, die zuletzt gesunken ist, werben. So ist es ihm nur geblieben, zu sagen: Seht her, die Außenwelt hasst uns. Dass es unter den Russen wirklich eine große Antipathie gegenüber dem Westen gibt, glaube ich nicht. Im Gegenteil. Sie sehen sich doch selbst als Europäer. Sie sind es seit Jahrzehnten, wenn nicht seit Jahrhunderten gewohnt, mobilisiert und angelogen zu werden. Sie verinnerlichen nicht alles, was ihnen die Propaganda erzählt.

Also denken Sie, dass sich à la longue ein pragmatischer Zugang etablieren wird?

Russland durchläuft seine post-imperiale Phase. Der Grund, warum der Kreml über die Soldaten in der Ukraine und in Syrien lügt, ist doch nicht, um dem Westen etwas vorzumachen, sondern weil er weiß, dass die russische Bevölkerung nicht mitansehen will, wie ihre Jungs in imperialen Kriegen sterben. Trotz allem denke ich, dass die Russen immer europäischer werden. Das heißt nicht, dass sie in zehn oder 20 Jahren wie Schweden oder Norwegen sein werden, aber vielleicht Bulgarien? Das wäre doch schon ein Schritt.

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