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"Die russische Politik ist autistisch"

Von WZ-Korrespondentin Simone Brunner

Politik
"Es ist klar, dass Clinton nicht bereit gewesen wäre, ihre Präsidentschaft damit zu beginnen, einen Schritt auf Russland zuzugehen.Trump wird zwar auch keine Geschenke machen, aber mit ihm ist zumindestein Deal möglich", sagt der ehmelige Putin-Berater Gleb Pawlowski. 
© Simone Brunner

Der ehemalige Spin-Doktor des Kremls, Gleb Pawlowski, über Wladimir Putin, Donald Trump und die EU.


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Moskau. Er ist bekannt wie umstritten: der Historiker und ehemalige Sowjetdissident Gleb Pawlowski. Als Spin-Doktor und Berater des Präsidenten hat er in den ersten zwei Amtszeiten Wladimir Putins wesentlich an der "Vertikale der Macht" mitgebaut. Nachdem er im Frühjahr 2011 eine weitere Amtszeit des damaligen Präsidenten Dmitri Medwedew forderte, schied er aus der Politik aus. Seither positioniert er sich als Kritiker der russischen Machtverhältnisse, die er indes selbst mit aufgebaut hat. Er gilt jedoch als immer noch gut informiert über die Vorgänge im Kreml und betreibt den Blog "gefter.ru", benannt nach dem sowjetischen Historiker Michail Gefter.

"Wiener Zeitung": Die russischen Medien haben im US-Wahlkampf Donald Trump als den besseren Kandidaten für die russische Politik präsentiert. Ist Trump tatsächlich besser für den Kreml?

Gleb Pawlowski: Das Fernsehen ist in unserem Land so etwas wie ein separates Institut, das nicht die Wirklichkeit, sondern die Wünsche des Kremls widerspiegelt. Ich sehe allerdings eine - kurzfristige - Gelegenheit für die russische Außenpolitik. Da sich der amerikanische Druck auf Russland verringert, könnte sie das für sich nutzen. Aber dazu müsste man eine virtuose Politik betreiben, statt von einer Liebe von Trump zu träumen, die es nicht geben wird. Man müsste diese Pause nützen, um etwas anzubieten.

Sie meinen die Zeit bis zur Amtseinführung Trumps?

Genau. Das ist eine Zwischenzeit, die man für einen Deal nutzen könnte. Der eine Normalisierung unserer Außenpolitik ermöglichen würde, die sich - aus eigenem Verschulden - in eine miserable Lage gebracht hat. Aber dafür muss Russland etwas anbieten. Solange Trump keine wirkliche Strategie in der Außenpolitik hat, kann man versuchen, etwas zu erreichen. Aber das ist nur ein kurzzeitiger Bonus für Russland.

Wäre das denn unter einer Präsidentin Hillary Clinton anders gewesen?

Es ist klar, dass Clinton nicht bereit gewesen wäre, ihre Präsidentschaft damit zu beginnen, einen Schritt auf Russland zuzugehen. Trump wird zwar auch keine Geschenke machen, aber mit ihm ist zumindest ein Deal möglich. Man könnte etwas erreichen.

Was konkret?

Es ist selbstverständlich, dass es für Russland gut wäre, wenn die Sanktionen abgeschwächt oder überhaupt ganz abgeschafft würden. Denn es ist ja so, dass die Sanktionen - für sich genommen - nicht funktionieren und sinnlos sind. Russland bewegt sich wegen der Sanktionen nicht.

Die Sanktionen beziehen sich doch aber auf die Ukraine. Da kann man sehr wohl sagen, dass die Sanktionen gewirkt haben - indem sich der Konflikt zumindest nicht weiter ausgebreitet hat.

Aber wir diskutieren jetzt über heute und nicht über das Jahr 2014. Den Status quo auf der Krim zu verändern wird auch mit den Sanktionen nicht möglich sein. Das heißt, dass Russland versuchen muss, etwas anzubieten, um im Gegenzug die Sanktionen wegzubringen. Die Sanktionen knabbern einen Teil der Wirtschaft ab. Aber politisch sind sie sehr angenehm für Putin, weil sie seine Unterstützung erhöhen. Die Bevölkerung des Landes sieht die Sanktionen wie eine Aggression, einen Angriff. Wenn es sie nicht gäbe, dann könnte Putin Probleme im Inland bekommen.

Wie wurde im Kreml der Sieg von Trump aufgenommen?

Es wurde natürlich gejubelt. Die Staatsduma hat das Ergebnis mit Applaus begrüßt. Aber hier sehen wir erneut eine Schere zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Wenn ihr findet, dass das so ein großer Erfolg ist, dann müsst ihr den auch nutzen. Aber unsere Politik ist eine Politik des Autismus: Wir machen keine Angebote. Wir sind uns selbst genug. Außerdem muss man sagen, dass dieser populistische Trend in der Welt nicht eindeutig positiv für Moskau ist. Es ist gut, ein Populist zu sein, wenn alle um dich herum keine Populisten sind. Dann verstößt du als Einziger gegen die Regeln, und die anderen halten sich daran. Aber wenn heute alle diese Regeln verletzen, dann verschwindet dieser Vorteil. Mit den Populisten politisch zu spielen ist viel schwieriger. Russland hat kein Monopol auf den Populismus.

Denken Sie also, dass es für Russland schwieriger wird?

Natürlich. Aber unsere Politik geht leider von der Idee aus, dass Chaos gut und nützlich ist. Je mehr die Unbestimmtheit herrscht, desto schwerer haben es auch die Feinde. Sie verstehen nicht, dass es nicht nur für die Feinde, sondern vielleicht auch für uns selbst schwerer wird. Aber der Kreml begrüßt das Chaos, weil er mit der bisherigen Weltordnung nicht klargekommen ist.

Im US-Wahlkampf sind Putin und Trump mit gegenseitigen Sympathiebekundungen aufgefallen. Wird das eine Rolle spielen?

Kaum. Putin hatte große Sympathien für George W. Bush, und davon hat Russland auch nichts gehabt. Ich denke nicht, dass sich Putin von Sympathien leiten lässt. Er muss etwas von Trump bekommen. Und Trump muss auch etwas von Putin bekommen, weil er nicht einfach so Geschenke verteilen wird. Aber Putin braucht die Unterstützung von Trump in Europa, um die Sanktionen zu beenden. Trump braucht von Putin nichts. Deswegen sind sie nicht in der gleichen Position. Die Frage ist, was der Gegenstand eines Deals sein könnte. Sympathien spielen hier keine Rolle.

Sie haben immer wieder betont, dass die Umbrüche in den post-sowjetischen Ländern - die sogenannten "Farbrevolutionen" - im Kreml als feindliche westliche Akte gegen Russland gesehen. Denken Sie, dass sich das jetzt unter Trump ändert?

Trump wird sich wohl kaum dafür einsetzen, dass sich die Demokratie auf der Welt ausbreitet. Das ist sehr unwahrscheinlich. Das Problem liegt aber nicht darin, dass man im Kreml an dieses Narrativ glaubt. Sondern, dass das schon Teil ihrer Ideologie ist, von der sie sich nicht lösen können. Aber die Kreml-Ideologie ist nicht immer rational, sie muss nicht folgerichtig sein.

In der EU hat es zuletzt viele Diskussionen darüber gegeben, dass zum Beispiel in Bulgarien und in der Republik Moldau russlandfreundliche - manche nannten es auch "pro-russische" - Kandidaten bei Wahlen gewonnen haben. Wie sehen Sie das?

Der Ausdruck "pro-russisch" ist natürlich zweifelhaft. Ich denke nicht, dass Russland für sie der zentrale Punkt ist, um den sich ihre politische Tagesordnung dreht. Das ist vielleicht ein wichtiger, aber kein zentraler Punkt. All diese Politiker werden unterschiedliche Positionen vertreten, unterschiedliche Politik machen.

Manche sprechen von einer "Schwarzen Internationale" zwischen den Rechtspopulisten und dem Kreml.

Das ist ein Schauermärchen für die Massen. Wo soll denn da das Machtzentrum sein? Das ist ja nicht die Komintern (die "Kommunistische Internationale", Anm.), sondern das sind irgendwelche marginalen Kräfte.

Welches Ziel verfolgt der Kreml aus Ihrer Sicht hinsichtlich der EU?

Dieses Ziel ist nicht klar formuliert. Das ist de facto ein Spiel und keine Politik. Ein Spiel, um die Unbestimmtheit zu erhöhen. Der Kreml glaubt, dass er dadurch Zeit gewinnt, um eine bessere Konjunktur abzuwarten. So funktioniert unsere Politik: Sie setzt sich keine Ziele, sondern improvisiert und wartet ab.

Zugleich erleben wir eine hitzige Diskussion in der Europäischen Union darüber, inwiefern Russland Einfluss ausüben kann. Zuletzt wurde etwa die "East Stratcom Task Force" in Brüssel gegründet, um russische Propaganda zu bekämpfen.

Das ist hinausgeworfenes Geld. Ein sinnloses Projekt. Und auch der Kreml verschwendet mit Projekten wie mit dem TV-Sender "Russia Today" sein Geld. Ich sehe keine realen Einfluss Russlands in der EU. Dass das Geld, das Marine Le Pen (Vorsitzende des rechtspopulistischen Front National in Frankreich; Anm.) bekommen hat, großen Einfluss hat - das denke ich auch nicht. Moskau möchte, dass alle denken, dass es Einfluss hat. Dass es die Prozesse in der Europäischen Union oder den USA irgendwie steuert. Und alle, die sagen, dass Moskau Einfluss auf die Wahlen in der EU hat, die spielen eigentlich Moskau in die Hände, weil sie das noch unterstützen. Ich halte das für eine Illusion. Das einzige Resultat ist doch, dass das Misstrauen gegenüber Russland wächst.

Also langfristig eine ineffektive Politik?

Das kommt darauf an. Aus der Sicht der Kreml, wenn er will, dass Russland als Supermacht wahrgenommen wird - ist das effektiv. Was den realen Einfluss angeht, ist das anders. Am Ende bringt das Russland doch nur ein negatives Image.

Zur Person:

Gleb Pawlowski wurde 1951 in Odessa auf der Krim geboren. Nach seinem Studium zog er
nach Moskau, wo er 1982 wegen "antisowjetischer Tätigkeit" verbannt
wurde. 1995 gründete er die "Stiftung für effektive Politik", ein
Institut für Meinungsforschung und Wahlkampfmanagement, die er 2011
auflöste.