Roma-Integration durch Schul- und Berufsausbildung in Siebenbürgen. | Ausbruch aus der Spirale der Verelendung. | Erster Schritt: Mehr Schulbildung. | Sibiu/Hermannstadt. Mircea und Petru sind Zimmerleute, Glute und Fritz pressen Betonsteine, Liviu hat eine gute Hand für Natursteinmauern, Nelu und Misch schmieden und schlossern, Beni, der Installateur, kann angeblich alles.
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Um fünf Uhr Nachmittag haben sie Arbeitsschluss. Ehe sie sich auf die Fahrräder schwingen, ein Gruppenfoto vor der neuen Werkshalle neben dem ehemaligen evangelischen Pfarrhaus von Stejarisu, dem deutschen Probst dorf. Liviu und Nelu sind Rumänen, Misch ist Sachse, Fritz ist halb Sachse, halb Rom. Mircea, Petru, Glute und Beni sind Roma. Die nennen sich hier "zígan" und sind die Mehrheit im Dorf.
Auch der Bürgermeister ist Roma. Man hilft sich wechselweise. Stirbt einer von den zurückgebliebenen Deutschen, die man hier seit dem 12. Jahrhundert "Sachsen" nennt, heben Zigeuner die Grube aus und tragen den Sarg. Wünscht sich ein Zigeuner Musik beim Begräbnis, bläst die Sachsen-Kapelle den Trauermarsch.
Auf den Staubstraßen aus Hermannstadt/Sibiu fährt man an Dutzenden verwahrlosten Kirchen und Pfarrhäusern vorbei. Nur die deutschen Kirchenburgen aus dem 15. und 16. Jahrhundert, für die Siebenbürgen berühmt ist, genießen das Privileg der Denkmalpflege. Aber Probstdorf lebt. Ein großer Autobus parkt auf der Hauptstraße. Er brachte Pendler aus dem zehn Kilometer entfernten Agnita heim.
Misstrauen gegen den Staat
Die Spirale der Verelendung - keine Schulbildung, keine Berufsausbildung, kein Job - ist gestoppt. Auch dank Know-how, Beharrlichkeit, Geld und Sachspenden aus Österreich. Private Gönner fanden sich mit teils namhaften Geldspenden ein. Zwei Autofirmen schenkten Autos, Bauunternehmen spendeten Material. Von der Stadt Wien kamen 70 gebrauchte, bei einem Sozialprojekt instandgesetzte Fahrräder. Soeben wurde der Region Sibiu/Hermannstadt die Einrichtung des geschlossenen Altenspitals Lainz angeboten. Die Aufteilung auf deplorabel ausgestattete Ortskrankenhäuser ist durchgeplant, doch fehlen noch die Transportmittel.
Möglich gemacht hat das das Hilfsprojekt "Austria pro Romania" geleitet in Probstdorf von Wolfgang Hosiner aus Aschach, NÖ, heuer 66. Mit der in Bukarest und Sofia als Sozialattachée akkreditierten Barbara Schröfnagel steht er in Probstdorf einem Best-Practice-Modell für die Integration der Roma in die Erwerbsgesellschaft des ländlichen Raums vor.
Zuerst konnten sie die Schulbildung forcieren. Das neue Rumänien setzte sich hehre Ziele - doch die praktische Umsetzung verlangt mühevolle Überzeugungsarbeit bei den traditionell staatlicher Lenkung misstrauenden Roma. Also wurde die Dorfschule renoviert, ausgebaut und außen hübsch angestrichen. Dann bekam jeder, der sein eigenes Haus anstreichen wollte, vom Hilfsverein - den Schröfnagel 2007 zur gemeinnützigen Stiftung ausbaute - die Farben.
Heute besuchen 37 Kinder die Schule im Dorf. "Sie gehen gerne, im Gegensatz zu früher", sagt Schröfnagel. "Wir haben eine Sommerschule eingeführt, für Freiwillige, auch mit Förderunterricht. Seit 2008 gibt es eine Nachmittagsbetreuung für die Kinder einschließlich Mittagessen. Das erste Jahr hat das die Gemeinde Wien mitfinanziert im Rahmen ihres Hilfsprojekts für Roma. Viele Menschen in den Dörfern in ganz Rumänien haben nie gelernt, Bildung zu schätzen, haben überhaupt keine Schulbildung oder die Schule abgebrochen, können nicht lesen und schreiben, sind nie im regulären Arbeitsprozess beschäftigt gewesen und darum Sozialhilfeempfänger, Tagelöhner, Gelegenheitsarbeiter. Wir unterstützen auch die Abendschule, wo sie den Schulabschluss nachmachen können. Das ist eine Aktion des Staates, die aber oft nicht funktioniert, weil niemand hingeht. Aber bei uns sind es zwölf." Eine EU-Aktion, bei der arme Dorfkinder mit Computern ausgerüstet wurden, erwies sich als Fehlschlag. Vielen fehlte der Strom und allen das Internet. Die vifsten Kleinen haben den PC schon verkauft. Auch im Schulhaus ist ein Zimmer mit Computern ausgestattet. Niemand kann sie bedienen, sie verstauben.
Fit für ein besseres Leben
Wie kann man die 15-jährigen Schulabgänger, denen man ein besseres Leben versprochen hat, auffangen? Mit Kursen in betriebswirtschaftlichem Denken, mit Servierkursen, um sie im Tourismus einzusetzen, in der Gärtnerei (deren Glashausdach früher den Swimmingpool eines ÖMV-Chefs überspannte). Für die Berufsausbildung wurden Lehrwerkstätten gebaut. "Einen besonderen Schub hat unser Freiwilligen-Camp 2009 gebracht, 142 Helfer, vor allem junge Menschen - und die haben die Jungen im Dorf mitgerissen, haben ihnen auch gezeigt, wie es ist, wenn man arbeitet, und dass es Spaß macht, wenn nachher etwas herauskommt." Schröfnagel sprach HTLs, Kirchen und Vereine wie die Pfadfinder an. "Vom holländischen Bauorden kamen vier, heuer erwarten wir 17." Ein nach einem Badeunfall beeinträchtigter österreichischer Bub in Begleitung eines Betreuers lernte Sozialkontakte. Heuer reist aus Kärnten eine Gruppe Heimkinder ohne jede Familienerfahrung zu einem therapeutischen Urlaub samt Lagerfeuerromantik an.
Die Stiftung braucht Einnahmen. Dazu wurde die Firma Agro Plus gegründet. Die Probstdorfer sicherten sich mit ihrer Blumenbinderei einen Stand am Weihnachtsmarkt von Hermannstadt. Sie produzieren Käse, Marmelade, Holundersirup, Schnäpse - darunter Schlehdornbrand. Schröfnagel: "Bei den Frauen haben wir ein Selbstbewusstsein geschaffen. Sie merken, dass ihre Arbeit, ihre Leistung was wert ist. Es gibt Näh- und Kochkurse. Wer nicht handwerklich tätig ist, kann Früchte klauben. Jeder kann damit etwas verdienen und damit sein Leben verbessern. Das ist wichtig, weil viele aus dem Dorf gar nicht herauskommen. Über 150 Leute haben mit uns seit 2006 gearbeitet." Man sei jetzt dabei, ein "Bed and Breakfast" zu gründen, vorerst zwei Zimmer bei zwei Familien mit Waschgelegenheit, Plumpsklo draußen. "Für die Vermieter sind die fünf Euro pro Nacht ein ungeheurer Verdienst, fast ein halber Tageslohn."
Deutsche Sprachinsel
Der Aufbau geht weiter. Bald schickt das Sozialministerium die 62-jährige Frau Sozialattachée in Pension, doch darf sie ohne Gehalt weiterarbeiten. Im Hochwasserjahr 2005, als sie nach Rumänien geschickt wurde, stellte sie in drei Monaten 44 festgemauerte 14.000-Euro-Häuser auf, und im Jahr darauf weitere 123 Häuser. Ihre eigenen Kinder sind flügge. In Neppendorf bei Sibiu, wo sich im 18. Jahrhundert aus Österreich vertriebene Protestanten ("Landler") angesiedelt haben, baut sie sich nun ein eigenes Haus. Nur eine Fahrstunde von Probstdorf entfernt. Dort wartet viel Arbeit. Das einzige Telefon im Dorf ist an eine Hauswand montiert. Das Mobil-Netz noch nicht geknüpft. In vielen Häusern fehlt Wasser. Zwar haben die meisten einen Stromanschluss, doch die Steckdose bleibt tot, weil die Gebühr nicht bezahlt werden kann.