Buchautor Said AlDailami über Interessen und Machenschaften Riads im Jemen-Konflikt.
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Seit fünf Jahren tobt im Jemen ein Krieg, der fast das ganze Land zerstört hat. Die schiitischen Huthi haben wichtige Teile des Landes erobert und werden von einer Allianz unter Führung Saudi-Arabiens bekämpft. Dazu kommen Abspaltungsbemühungen des Südens und der Umstand, dass die Al-Kaida große Teile des Jemen beherrscht. Zuletzt gab es einige Hinweise, die auf eine Entspannung der Lage deuten. Die "Wiener Zeitung" hat den Jemen-Experten Said AlDailami dazu befragt.
"Wiener Zeitung": Die Saudis haben zuletzt 128 Huthi-Gefangene freigelassen, vielleicht eine Geste der Versöhnung. Die Zeichen, so könnte man meinen, stehen auf Entspannung. Dann schießen die Huthis wenig später einen saudischen Hubschrauber ab. Ist das nicht widersprüchlich?
Said AlDailami: Widersprüchlich ist das nur auf den ersten Blick. Aber es ist der normale Gang der Dinge nach fünf Jahren Krieg zwischen dem überdimensionierten Saudi-Arabien und dem Huthi-Jemen, der versucht, sich zu verteidigen. Und dabei mittlerweile auch Apache-Hubschrauber abschießen kann. Parallel dazu gibt es nach fünf Jahren diplomatische und politische Gespräche, weil der Druck der internationalen Staatengemeinschaft allmählich wächst. Zumindest zeitweise, wenn die Kriegsallianz unter Führung der Saudis Zivilisten, Kulturdenkmäler oder die Infrastruktur des Jemen bewusst bombardiert. Dazu kommt, dass einige Kriegsziele erreicht worden sind.
Welche Ziele wurden da von wem erreicht?
Zu Beginn hieß es, Ziel der arabischen Militärallianz sei die Verdrängung der Huthis in kürzester Zeit und die Wiedereinsetzung der legitimen Regierung. Das waren Scheinziele, damit ein völkerrechtswidriger Krieg legitimiert werden kann. Die eigentlichen Ziele sind geostrategischer, wirtschaftlicher und kultureller Natur. So soll der Bab-el-Mandeb, das "Tor der Tränen", die Meeresstraße zwischen Jemen und Afrika kontrolliert und die Ölfelder im Osten des Jemen wie Marib und Hadramaut sollen gewonnen werden. Die Saudis und die Emiratis wollen entscheiden, was im Jemen passiert. Ich nenne sie die neuen Kolonisatoren. Emiratis und Saudis haben zuletzt einen Vertrag unterzeichnet, in dem es darum geht, die Einflusssphären abzugrenzen. Das einzige Territorium, das noch unangetastet bleibt, ist das, wo die Huthis die Kontrolle ausüben.
Die Rolle des Iran wird Ihrer Ansicht nach überschätzt. Generell geht man aber davon aus, dass die Huthis militärisch massiv vom Iran unterstützt werden.
Der Iran ist derzeit so mit sich selbst beschäftigt, dass er es sich gar nicht leisten kann, im Jemen besonder aktiv zu sein - man beachte nur die jüngsten Proteste im Inneren. Die Unterstützung ist in erster Linie deklaratorischer Art. Dazu gibt es Militärexperten der Hisbollah, die schon vor dem aktuellen Krieg in den Jemen geschickt wurden, um die Huthis auszubilden. Und es herrscht ein Embargo gegen den Jemen. Jedes Schiff, jedes Flugzeug wird ganz genau kontrolliert. Das heißt, es gelangen höchstens geschmuggelte Waffenteile ins Huthi-Gebiet.
Was macht dann die militärische Stärke der Huthis aus? Warum sind die so erfolgreich?
Die Huthis haben vor diesem Krieg schon sechs Kriege gegen die Nationalarmee geführt. Sie sind sehr geübte Kämpfer. Und sie kennen das unwegsame Gelände hervorragend. Und: Es gab von Anfang an gar nicht das Ziel der saudisch geführten Militärallianz, in der Hauptstadt Sanaa einzumarschieren. Das wird nicht kommen. Das Ziel ist die Aufteilung des Jemen, da muss man den Huthis einen Rest belassen, und das sind Sanaa und die Umgebung. Eine gebirgige Landschaft, wo es kein Öl gibt, wo nichts zu holen ist.
Wenn man den Konflikt im Jemen mit dem in Syrien vergleicht, dann sieht man einige Parallelen. Beide haben als Bürgerkrieg begonnen und dann haben sich Regionalmächte eingemischt. Ist es realistisch, dass im Jemen die Jemeniten den Konflikt lösen? Für Syrien ist eine interne Lösung ja ausgeschlossen.
Es war realistisch. Früher. Heute leider nicht mehr. In früheren Konflikten haben die Jemeniten immer Lösungen gefunden. Der entscheidende Punkt war die Einmischung von außen. Einer der hauptsächlichen Gründe, weshalb die ursprünglich friedliche Revolution im Jemen in diesen fürchterlichen Krieg mündete, ist die durch Präsident Hadi beschlossene Regionalisierung des Jemen. Dabei sollte der Jemen in sechs Regionen unterteilt und als föderales System komplett umstrukturiert werden. Das war der Punkt für den mittlerweile ermordeten jemenitischen Ex-Präsidenten Ali Abdullah Saleh und die Huthis, an dem sie zu einer gemeinsamen Front verschmolzen sind. Für beide stand fest: In der arabischen Welt verbinden die Menschen mit einem föderalen System sofort Spaltung und territoriale Aufsplitterung in kleine, eigenständige Fürstentümer. Aus dieser Furcht heraus marschierten die Huthis unter großzügiger Unterstützung von Salehs Armee Ende 2014 in Sanaa ein. Im Frühjahr 2015 antworteten die Saudis mit dem Krieg und läuteten damit die Internationalisierung des Konflikts ein. Wenn man die Sache rein den Jemeniten überlassen würde - da bin ich mir auch nach fünf Jahren Krieg sicher -, dann würden sie zu einer Lösung kommen. Doch dieses Szenario ist heute vollkommen unrealistisch geworden. Denn es sind die Saudis und die Emiratis, die im Jemen den Ton angeben und über Krieg und Frieden entscheiden.
Und der internationale Druck auf diese beiden, endlich für Frieden zu sorgen: Wie groß ist der?
Der Druck ist bescheiden und verhalten. Solange dort Krieg herrscht, laufen die Waffengeschäfte für den Westen bombastisch. Noch nie haben die Saudis und die Emirate so viele Waffen aus den USA, Frankreich, Großbritannien und teilweise aus Deutschland importiert wie in diesen letzten fünf Jahren. Immer die modernsten und immer die besten Waffen. Solange das so läuft, wird vor allem US-Präsident Donald Trump nichts tun, um den Krieg zu beenden.
Ist der Westen auch mit Soldaten dort?
Es gibt Hinweise, dass sogar bei Bodenoffensiven westliche Militärs beteiligt waren. Was definitiv feststeht: In den Operationszentralen sitzen nur wenige saudische oder emiratische Offiziere. Wie denn auch, sie haben keine Ahnung vom Kriegführen, schon gar nicht vom Gefecht der verbundenen Waffen. Luftwaffe, Marine und Bodentruppen zusammenzuführen, die sogenannte vernetzte Operationsführung, ist hochkomplex und wird sogar von führenden Militärnationen nur teilweise beherrscht. Da sitzen hochrangige Militärs aus Großbritannien, aus den USA, aus Frankreich, die den Saudis und Emiratis erklären, wie das geht. Die letzte Entscheidung, ob ein vermeintliches Kriegsziel beschossen wird, fällen jedoch die Saudis selbst. Deshalb sind seit Kriegsbeginn viele Kulturdenkmäler gezielt durch Bomben aus der Luft zerstört worden. Es gibt Berichte von Personen, die als Berater in diesen Operationszentralen tätig waren, die belegen, dass die Saudis nicht davor zurückschrecken, Wohngebiete, Märkte, Kulturdenkmäler und Orte mit größtmöglicher Menschenansammlung zu bombardieren, ohne Rücksicht auf Verluste. Man deklariert diese Bombardements später als "Kollateralschäden" oder als "Versehen". Die kulturelle Komponente spielt in diesem Krieg eine entscheidende Rolle: Die Saudis haben einen Minderwertigkeitskomplex. Wenn sie als Regionalmacht aufsteigen wollen, brauchen sie auch eine kulturelle Identität, eine ruhmreiche Geschichte. Beides haben sie nicht; eine reine Konsumkultur.
Al-Kaida kontrolliert große Gebiete im Jemen. Welche Rolle spielen die Terroristen in dem hochkomplexen Spiel?
Im Krieg der Sowjets in Afghanistan hat der Jemen als armes Land sehr viele Männer aus den Stämmen nach Afghanistan geschickt, damit sie gegen die Sowjets kämpfen. In den letzten beiden Jahrzehnten sind dann viele wieder in den Jemen zurückgekehrt. Sie wurden von ihren Stämmen als Helden begrüßt. Mithilfe von ausländischen Geldern haben diese kriegserfahrenen Kämpfer viele neue junge Männer rekrutiert. Die begannen eigene Strukturen aufzubauen und sich als Staat im Staat immer mehr durchzusetzen. Im jetzigen Krieg instrumentalisieren die Saudis und Emiratis diese Gruppierungen für ihre Zwecke. Sie sind Jemeniten, kennen sich aus und können vor allem junge Kämpfer mobilisieren. Dass diese Gruppierungen etwa für Al-Kaida tätig sind, interessiert die Militärallianz herzlich wenig. Der Deal ist ziemlich simpel: Ich zahle dich gut, dafür führst du aus, was ich will. So werden aus Terroristen Söldner für den Krieg im Jemen.
Wird der Krieg im Jemen ein jahrzehntelanger Konflikt sein oder gibt es doch eine Chance auf Frieden?
In der gesamten Region wird in den nächsten zwei Jahrzehnten keine Ruhe einkehren, der Jemen eingeschlossen. Einer der Gründe sind die hohen Ambitionen der derzeitigen Herrscher in Saudi-Arabien und in den Emiraten. Für den Jemen kann der Krieg in seiner jetzigen Form womöglich bald ein Ende finden. In den von Saudi-Arabien und den Emiraten kontrollierten Gebieten kann sich die Lage mittelfristig entspannen, wenn die großen wirtschaftlichen Projekte der neuen Kolonialherren in Aden und Umgebung umgesetzt werden. In dem von den Huthis kontrollierten Gebieten wird man die bestehenden Kriegsfronten am Leben erhalten und die immer wieder aufflammenden Gefechte als innerjemenitischen Konflikt deklarieren.