Sibiu (Hermannstadt) steht heuer im BlickpunktEuropas und hofft, irgendwann davon zu profitieren. | Die Seiten von Sibiu, die Elena zeigt, sind in keiner Tourismusbroschüre zu finden. Die junge Frau führt weg von den herausgeputzten Häuschen im Zentrum des alten Hermannstadt. Die mittelrumänische Stadt ist noch bis Jahresende europäische Kulturhauptstadt, und dafür hat sie sich feingemacht.
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Doch nicht für alles haben die rund 100 Millionen Euro gereicht, die Sibiu in die Infrastruktur steckte. Und nicht alles war rechtzeitig fertig. Das Bahnhofsgebäude aus der K.u.K-Zeit war im Herbst noch nicht renoviert. Eine Umfahrungsstraße für Sibiu gibt es wegen finanzieller Zwistigkeiten mit der Regierung in Bukarest noch nicht. Und frisch gestrichene Fassaden glänzen gerade einmal in der Altstadt.
Schwierigkeiten gibt es auch mit der Kanalisation. Die ist in dem Viertel am Rande Sibius, wo Elena arbeitet, so gut wie gar nicht vorhanden. Wenn es stark regnet, können die Rinnen am Straßenrand das Wasser nicht mehr auffangen und gehen über. Wie um dem Unbill gemeinsam zu trotzen, schmiegen sich die niedrigen Häuser aneinander. Eines der größeren Gebäude ist die Schule, in der Elena Geschichte unterrichtet. Im kleinen verfallenden Schuppen daneben war noch vor zehn Jahren die Toilette untergebracht. Mittlerweile müssen die Schüler - im Alter von bis zu 14 Jahren - aber nicht mehr rausgehen.
Ihren Arbeitsplatz verlassen, um arbeiten zu können, muss aber immer wieder Elena. Sie und ihre Kollegen gehen dann in die benachbarte kleine Siedlung aus Holz- oder Wellblechhütten und fragen, wo ihre Schüler bleiben. Es ist eine Roma-Siedlung. "Fast 90 Prozent unserer Schüler sind Roma", erzählt Elena. Nicht immer seien aber die Eltern schuld, dass ihre Kinder die Schule schwänzen.
Elena braucht viel Geduld. Manche ihrer Schüler hätten extreme Lerndefizite. Und wenn sie gefragt werden, warum sie nicht lernen, zucken sie mit den Schultern und antworten: "Weiß nicht." "Aber wenn du einen talentierten, intelligenten Schüler hast, dann ist das die Belohnung", sagt die Lehrerin. Sie mag ihre Arbeit, auch wenn sie schlecht bezahlt ist. Sie will die Kinder nicht sich selbst überlassen.
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Zwanzig Minuten mit dem Auto von dem Viertel entfernt residiert Bürgermeister Klaus Johannis in dem frisch renovierten Rathaus, das 1902 als Sitz der Sächsischen Bodenkreditanstalt erbaut wurde. Die Siebenbürger Sachsen machen in Hermannstadt mittlerweile gerade einmal etwa 1,5 Prozent der 180.000 Einwohner aus - doch seit der Gemeinderatswahl 2004 stellen sie zwei Drittel der Stadträte.
Was von der Kulturhauptstadt bleiben wird? Johannis zählt auf: "Die Infrastruktur, die renovierten Häuser, die Freiluftbühne, die Festivals, die weitergeführt werden." Ebenso hofft er, dass der Tourismus - bisher eine irrelevante Einnahmequelle - künftig ein wesentlicher Wirtschaftszweig für die Stadt werden wird.
Vom wirtschaftlichen Aufschwung werden früher oder später wohl auch die ärmeren Viertel von Hermannstadt profitieren. Auch Elena findet, dass es gut für Sibiu war, Kulturhauptstadt zu werden. Selbst wenn nicht alles rechtzeitig fertig geworden ist.