Islamismus und Islam werden gleichgesetzt. | Instrument der populistischen Politik. | Im Irak sind nur noch Ausbildner und Terrorbekämpfer. Für Afghanistan ist Ähnliches angepeilt. Lieber heute als morgen würden die Nato-Staaten ihre Truppen abziehen, aber die Umstände erlauben erst das Übermorgen.
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Vom "Kreuzzug" gegen den Terror, den US-Präsident George W. Bush mit spürbar anti-islamischem Unterton einst ausrief, ist wenig übrig geblieben.
Auch die von Bush als Allheilmittel gegen den Islamismus gepriesene Demokratisierung ist von der Agenda verschwunden. Autoritär regierte US-Verbündete wie Ägypten oder Saudi-Arabien waren ohnehin nie dafür zu begeistern. Und die demokratisch gewählte Hamas wurde in den Palästinensergebieten eilig vom Westen boykottiert, ehe sie sich in einem Bruderkrieg die Macht zumindest im Gaza-Streifen sicherte.
Die Cowboy-Manie, vom Vorhof der eigenen Ranch und darüber hinaus alles Störende wegballern zu wollen, ist seit dem Amtsantritt von Barack Obama aus dem Weißen Haus verschwunden. Jetzt werden wieder Verbündete gesucht, auch und gerade in der islamischen Welt - so wie damals unmittelbar nach dem 11. September 2001, als das Trauma die USA kurzzeitig in die Ratlosigkeit zu stürzen schien. Einen solchen Eindruck wollte die Weltmacht aber nicht vermitteln, die nachfolgende kompensatorische Hyperaktivität ließ indes nur Scherben zurück.
Diese sind alles andere als harmlos, haben scharfe Kanten und drohen denjenigen ernsthaft zu verletzen, der neue Wege beschreiten will. Obama plagen viele Sorgen wie die darniederliegende US-Wirtschaft und die chinesische Konkurrenz. Der Islam spielt in seinen Überlegungen wohl nur dann eine Rolle, wenn es um Terrorgefahr und strategische Interessen geht. Viele Bürger seines Landes wissen indessen oft nicht einmal, wie ihr Präsident heißt, glauben aber zu wissen, dass er mittels Gesundheitsreform den Kommunismus einführen will - und dass er Moslem ist.
Stempel des Islam
Die jahrelange Propaganda zeigt Wirkung. Das Böse, das vormals in der Sowjetunion geortet wurde, trägt heute den Stempel des Islam. Monatelang wurde in den USA darüber diskutiert, ob eine Moschee unmittelbar beim Ground Zero, dem Ort, wo die New Yorker Twin Towers durch den Al-Kaida-Terror in sich zusammenfielen, statthaft sei.
Die Trennlinie zwischen dem Islam und dem Islamismus wurde im Westen längst verwischt. Das erleichtert den Fanatikern, die unter der grünen Fahne des Propheten gegen die dekadenten Ungläubigen kämpfen, ihre Untergrundarbeit. Der Islamismus verspricht Erlösung auch schon im Diesseits - die Erlösung von dem Gefühl, nur als Weltenbürger zweiter Klasse wahrgenommen zu werden. Gebildete Muslime wissen wohl, dass man in den vergangenen Jahrhunderten gegenüber der Welt der Aufklärung ins Hintertreffen geraten ist, aber das will man nicht dauernd unter die Nase gerieben bekommen. Gerade in traditionellen Kulturen haben die Ehre und das Wahren des Gesichtes hohe Bedeutung. Man will den anderen auf Augenhöhe begegnen. Für die radikale Führung des Iran ist das ein wichtiges Motiv, nicht von ihrem Atomprogramm zu lassen.
"Kampf der Kulturen"
Auch wenn die arabischen Nachbarn das nicht gerne sehen und aus Angst um ihre Macht am Golf laut Wikileaks den schiitischen Iran am liebsten bombardiert sehen würden, haben sie wohl insgeheim zumindest für diesen Aspekt der Teheraner Politik Verständnis. Denn ihr Wunsch, als gleichwertiger Partner behandelt zu werden, kontrastiert mit der Sicht des Westens, der in jedem Muslim gleich einen potenziellen Terroristen wittert. Sogar Susilo Bambang Yudhoyono, Präsident von Indonesien, wo Obama vier Kindheitsjahre verbrachte, mahnt im Umgang mit dem Fanatismus zur Vorsicht. Der Staatschef des größten muslimischen Landes der Welt, mit den USA verbündet, meint, dass man mit "soft power" dem Islamismus eher beikommen könne als mit einer Härte, die "unerwünschte Konsequenzen" zeugt.
Man darf indes vermuten, dass sich diese Sicht von jener Obamas gar nicht so sehr unterscheidet. Zumindest tut der US-Präsident nichts dafür, den einst von Harvard-Professor Samuel Huntington diagnostizierten "Kampf der Kulturen" weiter anzuheizen. Aber der Schaden ist schon angerichtet.
Neonazistischen Wurzeln
Das demonstrieren nicht nur die genannten Beispiele aus den USA. Dort überlagert auf politischer Ebene die wirtschaftliche Lage die Angst vor dem Islam. Von Letzterer ist sogar bei den wieder erstarkten Republikaner nur indirekt die Rede, wenn sie die christlichen Werte über alles stellen. Europa hat indes mit den Muslimen viel unmittelbarer zu tun - und hier werden sie noch stärker zum Feindbild.
Europas rechtspopulistische Parteien haben das Christentum für sich entdeckt. Ihr Gottseibeiuns, wie man den Teufel einst bezeichnete, wenn man ihn nicht beim Namen nennen wollte, ist die Moschee.
Kaum ein Rechtsextremer, der auf sich hält, kommt ohne Islam-Schelte aus. Der Kampf gegen Ausländer wurde nahtlos durch jenen gegen den Islam ersetzt. Bei den Wählern kommt das gut an: Geert Wilders darf in den Niederlanden nach seinem Wahlerfolg die Regierung stützen, im liberalen Schweden kommt eine Partei mit neonazistischen Wurzeln ins Parlament, in Dänemark sitzt schon seit längerem eine fremdenfeindliche Partei in der Regierung. Heinz-Christian Strache ist in Österreich zwar noch in der Opposition, die Kommentatoren rätseln aber, wann er die bisherigen Großparteien übertrumpft.
Und das Phänomen der Hatz gegen jegliches Fremde hat mittlerweile auch konservative Regierungen in ganz Europa erfasst.
Sparmaßnahmen
Italiens Silvio Berlusconi kämpft zusammen mit seinem libyschen Freund Muammar Gaddafi gegen Bootsflüchtlinge. Frankreichs Nicolas Sarkozy lässt nicht nur tausende Roma außer Landes schaffen, sondern auch das Tragen der alles verhüllenden Burka verbieten (in Schulen ist das Kopftuch als islamisches Symbol schon seit 2004 nicht erlaubt). Auch in anderen EU-Ländern wird ein Burka-Verbot diskutiert und teilweise schon umgesetzt.
Der Streit um die religiöse Bedeutung von Kleidung beschäftigt auch Feministinnen wie Alice Schwarzer, die sich selbst als Linke bezeichnet. In ihrem Eifer bezichtigt sie die türkische Regierungspartei AKP, die zuhause für eine Lockerung des Kopftuchverbots eintritt, die islamische Unterwanderung Europas zu betreiben. Dabei ignoriert sie den entscheidenden Beitrag der gemäßigt-islamischen Partei zu dem Umstand, dass sich die Türkei gegen den Widerstand der heimischen Nationalisten in vielen Bereichen europäischen Standards angenähert hat.
Und dann ist da noch Thilo Sarrazin, sozialdemokratischer Ex-Bundesbanker aus Deutschland. Trotz der Kritik an seiner These, dass Muslime genetisch und kulturell unfähig zur Integration seien, machte ihn der Verkauf seines Bestsellers "Deutschland schafft sich ab" zum mehrfachen Millionär. Weit mehr Menschen als die 1,2 Millionen, die das Buch in den ersten drei Monaten nach Erscheinen kauften, meinen, Sarrazin habe "im Prinzip recht" - und zeigen damit die Defizite auf, die die Politik in den letzten Jahrzehnten bei der Integration zuließ. Allzu lange hatte sie geduldet, dass die einst als Gastarbeiter Gekommenen Ghettos bildeten, sich selbst von der Umwelt isolierend, aber auch, wie Sparmaßnahmen bei Unterstützungslehrern zeigen, von der Umwelt in die Isolation gedrängt. Integrationsverweigerer auf allen Seiten also.
Rechtssprechung
Und noch immer leugnen Deutschland und Österreich die Realität, Zuwanderungsland zu sein. Immerhin hat man aber zumindest in Deutschland nun erkannt, dass Bildung nicht nur der Wirtschaft lesekundige Arbeitskräfte zuführen soll, sondern auch dem Zusammenhalt der Gesellschaft dient.
Mit dem Islam haben all diese Phänome nur am Rande zu tun. Natürlich erschweren religiöse Tabus einen gedeihlichen Dialog, und dass der Islam, ungewohnt für katholisches Denken, keine einheitliche Lehre und Rechtssprechung bietet, macht die Sache nicht leichter.
Doch warum sollten sprachliche Defizite bei muslimischen Jugendlichen schwerer wiegen als bei katholischen, die, wie man in politisch unkorrekteren Zeiten sagte, aus der Unterschicht stammen? Es sind vor allem soziale Unterschiede, die die Debatte auslösen, auch wenn sie als ethnische und religiöse dargestellt werden. Unter dem Scherbenhaufen der Kreuzzügler sind Differenzierungen aber nicht mehr erkennbar. Es braucht gar keine Terrordrohungen, damit uns die Angst vor dem Islam weiter auf Trab hält.