In Südafrika wird über die entschädigungslose Enteignung weißer Farmer diskutiert. Das Thema birgt enorme Sprengkraft.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Pretoria/Wien. In den vergangenen acht Monaten hat Lewis Nzimande zahllose schriftliche Stellungnahmen gelesen, viele Gespräche mit Parlamentariern geführt und an dutzenden öffentlichen Anhörungen im ganzen Land teilgenommen. Und aus seiner Sicht ist die Sache völlig klar. "Die Südafrikaner haben gesprochen, es war laut und klar, und wir haben sie gehört", sagt Nzimande. Gemeinsam mit seinen Kollegen im parlamentarischen Verfassungsüberprüfungskomitee hat der ANC-Politiker daher in der vergangenen Woche eine Empfehlung an die Nationalversammlung formuliert, die wenige Zweifel offen lässt: Die Verfassung Südafrikas soll um einen Passus erweitert werden, der es der Regierung ermöglicht, Landbesitzer auch ohne Entschädigung zu enteignen.
Tatsächlich dürfte es in der Bevölkerung eine breite Mehrheit für die Initiative des regierenden ANC geben, die Frage der ungerechten Landverteilung am Kap der Guten Hoffnung nun möglichst rasch und weitreichend zu lösen. Doch die Idee der entschädigungslosen Enteignung, über die das Parlament in den kommenden Tagen beraten soll, birgt enorme Sprengkraft - und sie polarisiert die Menschen in Südafrika wie kaum ein zweites Thema seit dem Ende der Apartheid.
Denn obwohl die ANC-Regierung schon kurz nach dem friedlichen Machtwechsel im Jahr 1994 die Möglichkeit geschaffen hat, dass schwarze Südafrikaner jenes Land zurückbekommen, von dem sie in den vergangenen 100 Jahren vertrieben worden waren, hat sich an der Struktur des Landebesitzes kaum etwas geändert. So sind nach Angaben der Regierung noch immer 72 Prozent des privaten Agrarlands in der Hand der Weißen, obwohl diese nur acht Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die schwarzen Südafrikaner, die mit 80 Prozent die eindeutige Mehrheit am Kap stellen, besitzen demnach nur knapp 4 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche.
Der von Weißen dominierte Farmerverband AgriSA kommt zwar auf deutlich niedriger Prozentwerte beim Landbesitz der europäischstämmigen Südafrikaner, weil er auch Land von Stammeskönigen und im Regierungsbesitz in seine Berechnungen einfließen lässt. Doch an der grundsätzliche Problematik - nämlich, dass die weißen Farmer beim Landbesitz eindeutig überrepräsentiert sind - ändern auch die Statistiken des AgriSA nichts.
Der ANC in Bedrängnis
Dass Cyril Ramaphosa, der den wegen massiven Korruptionsvorwürfen unter Beschuss geratenen Jacob Zuma im Februar als Präsident Südafrikas abgelöst hat, nun so vehement auf eine Landreform drängt, hat vor allem mit den im nächsten Jahr anstehenden Wahlen zu tun. Der Sieg wird dem ANC dabei nicht zu nehmen sein, doch die Partei Nelson Mandelas, die jahrzehntelang synonym für den Befreiungskampf der schwarzen Südafrikaner stand, könnte erstmals unter 50 Prozent fallen.
Bedrängt wird der ANC vor allem von den Economic Freedom Fighters (EFF), die der ehemalige, im Streit geschiedene ANC-Jugendführer Julius Malema im Juli 2013 gegründet hat. Die ökonomischen Freiheitskämpfer profitieren vor allem vom Zorn enttäuschter junger Männer, die in Mandelas Vision einer Regenbogennation, in der Hautfarbe, Herkunft und Stand keine Rolle mehr spielen, nur noch ein unerfülltes Versprechen sehen. Malemas Forderung, dass alles private Land verstaatlicht werden muss, fällt in dieser Gruppe auf besonderes fruchtbaren Boden.
Für Ramaphosa sind Enteignungen aber in jedem Fall ein Spiel mit dem Feuer. Macht sich der Präsident für ein hartes Vorgehen stark, lässt sich damit vielleicht der Vormarsch der EFF einbremsen. Gleichzeitig würde es aber wohl Aufruhr bei Investoren und Ratingagenturen geben, die bereits jetzt davor warnen, den von der Verfassung garantierten Schutzes des Eigentums nicht anzutasten.