Hacker statt Heckenschützen: Österreichs neue Landesverteidigung.
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Wien. Am Dienstag haben Verteidigungsminister Gerald Klug und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner am Rande des Ministerrats die neue "Teilstrategie Verteidigungspolitik" vorgestellt. Im Wesentlichen konzentriert sich das Papier auf die Anpassung des heimischen Bundesheers (BH) an künftige Herausforderungen und realistische Gefahren (siehe Kasten unten). Die Einigung auf die Teilstrategie ist auf Wunsch der ÖVP im Zuge der Heeres-Reform erfolgt. Offen bleibt immer noch die Frage der Finanzierung und des neuen Dienstrechts, obwohl beide Minister zugesichert haben, Reformen schnell vorantreiben zu wollen. In den nächsten Jahren muss das BH 200 Millionen Euro einsparen und etwa 1400 Arbeitsplätze streichen. Spätestens 2016 braucht das Verteidigungsressort aber neue Investitionen um die geplanten Reformen durchführen zu können.
Die Punkte im Papier sind nicht ganz neu, vieles wird seit Jahren gefordert. Deshalb warnt Militärexperte Gerald Karner vor zu viel Euphorie. Die Reformenpläne lassen nämlich viele Fragen rund um die Landesverteidigung offen.
1. Was bedroht Österreich im 21. Jahrhundert?
Dass Russland oder China in den kommenden Jahren mit Panzern in Österreich einmarschieren, ist mehr als unrealistisch. "Terroristische Anschläge halte ich hingegen für reale Bedrohungsszenarien", sagt Karner im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Hinzu kommen noch Cyber-Angriffe auf die heimische Infrastruktur und internationale Einsätze, die auch im Papier Erwähnung finden. Eine Daueraufgabe des Heeres ist der Katastropheneinsatz bei Hochwasser, Lawinen oder Murenabgängen. Hier sind auch zahlreiche Präsenzdiener im Einsatz.
2. Ist das Heer neuen Anforderungen gewachsen?
"Offenkundig nicht. Es wurde zu lange versucht, den neuen Szenarien mit den Strukturen aus dem Kalten Krieg zu begegnen", erklärt der Militärexperte. Zweifelhaft ist auch die Frage, ob alle im Papier festgehaltenen Gefahren tatsächlich vom BH bewältigt werden müssen. Ein Beispiel: Terroranschläge betreffen die innere Sicherheit Österreichs und sind somit Aufgabe der Polizei. Das Militär greift nur ein, wenn die Polizei ihrer Aufgaben nicht nachkommen kann. Bei der Abwehr von Cyberangriffen braucht es außerdem keine trainierten Kampfsoldaten, sondern sehr gut ausgebildete IT-Experten und Hacker. Die müssen auch nicht schießen können. Und diese fehlen dem Heer noch immer, obwohl schon der ehemalige Verteidigungsminister Norbert Darabos "3500 Cyber-Soldaten" angekündigt hat.
3. Kann das Bundesheer (BH) auf EU-Ebene mithalten?
Damit das BH seinen Pflichten nachkommen kann, braucht es laut Karner weitreichende Strukturreformen. "Die Wehrpflicht ist überholt. All diese Szenarien erfordern weniger Personal und mehr Qualität. Und diese Qualität hat präsent zu sein", sagt er. Die notwendigen Spezialisten und Experten - im Regierungspapier ist eine Expertengruppe von 100 Personen vorgesehen - könne man nicht aus den Grundwehrdienern rekrutieren. Kurz gesagt: weniger, dafür qualifizierteres und länger präsentes Personal und ein neues Dienstrecht sind notwendig.
Ein zentraler Punkt in der Teilstrategie ist die internationale Zusammenarbeit auf EU-Ebene. Was die Budgets und vor allem die Expertise anbelangt, kann sich Österreich nicht an Staaten wie Deutschland oder Frankreich messen. Sollte es zu - wenig wahrscheinlichen - militärischen Auseinandersetzungen kommen, ist Österreich ohnehin auf den Schutz großer Verbündeter angewiesen. Trotzdem warnt der Experte davor, die internationalen Pflichten zu vernachlässigen. Die Friedens- und Kriseneinsätze seien für die internationale Zusammenarbeit wichtig.
4. Braucht das Heer mehr Geld?
"Ich kann nicht nur kürzen", sagt Karner. In machen Bereichen brauche es sinnvolle Investitionen. Trotz allem wird das Heer nicht um die viel kritisierte Strukturreform und weitere Einsparungen kommen - auch im Personalbereich.
5. Ist die Neutralität in Gefahr?
Seit dem EU-Beitritt ist Österreich nicht wirklich neutral und hat sich verpflichtet, im militärischen Notfall Hilfe zu leisten. Die drei Grundpfeiler der Neutralität sind für Karner aus heutiger Sicht nicht mehr aktuell. So hat sich Österreich etwa nach dem Zweiten Weltkrieg verpflichtet, an keinen Kriegen mehr teilzunehmen. "Keiner will Krieg", sagt Kramer und damit sei die Frage der (freiwilligen) Beteiligung auch nicht gegeben. Auch der Punkt der Stationierung fremder Truppen auf österreichischem Gebiet sei obsolet, weil Militärbündnisse wie die Nato ohnehin keine Stützpunkte in Österreich anstreben. Was den dritten Punkt angeht, die Beteiligung Österreichs an Militärbündnisse: "Das brauche ich nicht verteidigen, sondern einfach nicht machen", sagt Kramer.
Überblick: Teilstrategie Verteidigungspolitik
Die 36 Seiten lange "Teilstrategie Verteidigungspolitik" sieht in erster Linie eine Neuausrichtung der heimischen Verteidigungsstrategie auf der Basis realistischer Bedrohungen vor. In insgesamt sechs Kapiteln befasst sich das Papier mit den Themen militärische Sicherheits- und Risikolage, verteidigungspolitische Zielsetzungen und Aufträge, nationale und internationale Strategie des Bundesheeres, konkretes militärisches Leistungsprofil und der Entwicklung von Human Resources und Wehrpolitik. Im Vordergrund steht die Frage, welche Bedrohungsszenarien in den nächsten 10 Jahren in Österreich tatsächlich eintreten könnten und wie man darauf reagiert. Als realistisch stuft die Expertengruppe beispielsweise Naturkatastrophen wie Hochwasser und Lawinen sowie Beteiligung an Friedensmissionen oder Evakuierung von EU-Bürgern aus Krisenregionen ein. Auch internationaler Terror und Cyberangriffe auf empfindliche Infrastruktur - zum Beispiel Flughäfen oder eine Raffinerie - werden als realistische Bedrohung identifiziert. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ist hingegen die Gefahr des Einmarsches oder Kämpfen an der Grenze eher nicht gegeben. Deshalb soll in Zukunft auch nur in einsatzwahrscheinliche Aufgaben investiert werden, also etwa die Luftraumüberwachung und den Katastrophenschutz. In Wien ist zudem ein Cyber-Defense-Zentrum geplant. Ein Kernpunkt der Teilstrategie ist die internationale Kooperation auf EU-Ebene. So soll im Fall von Naturkatastrophen oder Friedenseinsätzen auch weiterhin international zusammengearbeitet werden. An der Wehrpflicht oder am Milizen-Einsatz rüttelt die neue Teilstrategie nicht.