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Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ist seit dem Ukraine-Konflikt im Zentrum des Interesses.
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"Wiener Zeitung": Nach den Kriegen am Balkan wurde es in den späten 1990ern ruhiger um die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise spielt die OSZE wieder eine zentrale Rolle. Sehen Sie das positiv oder negativ?
Thomas Greminger: Das Wiedererscheinen der OSZE auf dem politischen Radar bedeutet, dass es um die Sicherheit in Europa nicht gut bestellt ist. Denn wenn wir sichtbar werden, dann heißt das, dass es Probleme gibt - und die gibt es, etwa die Krise in der Ukraine. Wenn man jedoch das gelungene Krisenmanagement der OSZE anschaut, so ist das sehr positiv. Denn die OSZE hat wichtige Beiträge zur Deeskalation des Konfliktes geliefert. Das erfolgreiche Krisenmanagement in der Ukraine hat die OSZE wieder in die Erinnerung der Politik gerufen. Uns schmerzt aber, dass die vielen wichtigen Aufgaben, die wir übernehmen - etwa beim Aufbau und der Stärkung von Institutionen - zu wenig gesehen werden. Es ist wohl das Schicksal der OSZE, dass viele Aktivitäten der Organisation zwar sehr wichtig sind, diese jedoch nicht immer politisch oder medial wahrgenommen werden.
Als Beispiel könnte man hier nicht nur die vielen Aktivitäten der Feldmissionen anführen, sondern auch jene der unterschiedlichen OSZE-Institutionen, wie etwa die Wahlbeobachtungsaktivitäten des in Warschau ansässigen Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte. Ein weiteres Beispiel sind die Aktivitäten des Hohen Kommissars für nationale Minderheiten, ein fantastisches Instrument zur Konfliktprävention, basierend auf stiller Diplomatie. Auf diese spezielle OSZE-Institution sind einige andere Regionen sehr neidisch. Aber auch diese Aktivitäten laufen eher unter dem Radar. Denn wenn durch den Einsatz von stiller Diplomatie ein Konflikt vermieden wird, erscheint das nicht in den Schlagzeilen. Am Westbalkan ist die OSZE übrigens ebenfalls weiterhin sehr aktiv und leistet wertvolle Arbeit, um die Region fortlaufend zu stabilisieren.
Welche anderen Konflikte im OSZE-
Raum bereiten Ihnen derzeit schlaflose Nächte?
Es gibt drei langwierige Konflikte im OSZE-Raum, die weiterhin einer Lösung harren: Der Bergkarabach-Konflikt, der Transnistrien-Konflikt und der Georgien-Konflikt. In all diesen Konflikten spielt die OSZE eine gewisse Vermittler- beziehungsweise Unterstützerrolle.
Der Fortschritt in der Lösung der Konflikte hängt jedoch immer auch vom politischen Willen der einzelnen Parteien ab. Im Moment ist eine Lösung in keinem der drei bestehenden Konflikte absehbar. Dadurch kommt der OSZE die nicht sehr dankbare Rolle zu, eine weitere Eskalation der Konflikte zu verhindern. Das trifft vor allem auf den Bergkarabach-Konflikt zu, in dem es immer wieder zu Gefechten und Opfern kommt.
Aber Sie fragen mich, was mir schlaflose Nächte bereitet: die Zunahme der militärischen Fast-Zwischenfälle. Wir beobachten vermehrte militärische Aktivitäten in Grenzgebieten, auf See und in der Luft. Zusätzlich registrieren wir eine Zunahme von spontanen militärischen Bereitschaftsübungen. Das Klima heizt sich auf. Ich habe Sorge, dass es irgendwann einen militärischen Zwischenfall gibt, der dann eskalieren könnte. Wir sollten daher Mechanismen entwickeln, die derartige Zwischenfälle oder deren Eskalation in Zukunft in jedem Fall verhindern können.
Sehen Sie das bevorstehende gemeinsame militärische Sapad-Manöver von Russland und Weißrussland in Einklang mit den internationalen Vereinbarungen?
Rein von der Form her ja. Das Sapad-Manöver wurde korrekt und rechtzeitig bekanntgegeben. Weißrussland hat zudem eine Reihe an Beobachtern eingeladen. Das heißt, vordergründig ist man den internationalen Verpflichtungen nachgekommen. Es gelingt aber trotzdem nicht, Vertrauen aufzubauen. Und das ist bezeichnend.
Haben Sie den Eindruck, dass sich das Klima zwischen Russland und dem Westen zuletzt wieder etwas verbessert hat?
Es kommt ein bisschen darauf an, wo man hinhört. Einerseits beobachte ich eine sehr konfrontative Rhetorik. Andererseits scheint es doch eine gewisse Einsicht zu geben, dass man trotz aller Divergenzen miteinander reden muss. Da bietet sich die OSZE als Plattform an. Die OSZE wurde ja nicht als Schönwetterinstitution geschaffen. Sie ist dazu da, schwierige Situationen zu meisten. Das müssen wir uns immer wieder in Erinnerung rufen.
Was halten Sie vom Vorschlag des russischen Präsidenten, UN-Friedenstruppen an die Frontlinie in die Ukraine zu entsenden? Ist so ein Vorschlag eine gute oder eine schlechte Nachricht, vor allem auch mit Blick auf die OSZE Sonderbeobachtermission in der Ukraine?
Wir haben den Vorschlag mit Interesse zur Kenntnis genommen. Die Details sind jetzt aber vom UN-Sicherheitsrat auszuhandeln. Wenn man gesehen hat, wie sich die Konfliktparteien positionieren, kann man erwarten, dass das keine ganz leichten Verhandlungen werden. Die OSZE ist aber jedenfalls bereit, ihre Expertise einzubringen und eine intelligente Arbeitsteilung zwischen einer solchen UN-Operation und der OSZE zustande zu bringen. Ein zweiter Punkt: Wir unterstützen alle Bemühungen, die einen Beitrag zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen leisten und die Sicherheit vor Ort erhöhen.
Angesichts der Sorge um den Weltfrieden ob des Konflikts in Korea stellt sich die Frage, ob es nicht eine Organisation wie die OSZE für Asien bräuchte.
Es wurde uns immer wieder großes Interesse aus dieser Region signalisiert. Die OSZE hat Kooperationspartner in Asien. Es gibt aber große Widerstände. Wichtige Staaten im asiatischen Raum haben eine klare Präferenz, Probleme bilateral zu lösen, anstatt multilaterale Plattformen dafür zu benützen. Die derzeit existierenden multilateralen Plattformen in Asien, die Sicherheitsfragen behandeln, sind mit recht schwachen Strukturen ausgestattet und verfügen über nur schwache Sekretariate. Die Politik in der Region scheint derzeit noch nicht reif, sich ernsthaft und in der Tiefe mit einem Modell, wie es die OSZE bietet, auseinanderzusetzen.
Thomas Greminger ist 1961 in Luzern (Schweiz) geboren. Der Schweizer Diplomat ist seit Juli 2017 Generalsekretär der OSZE.