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Die Schlammschlacht eskaliert

Von Piotr Dobrowolski

Europaarchiv

In kaum einem der neuen EU-Mitgliedstaaten wird der EU-Wahlkampf mit derartiger Härte geführt wie in Ungarn. Die gegenseitigen Anschuldigen der beiden erbittert um die Führung kämpfenden Großparteien nehmen von Tag zu Tag an Härte zu.


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Der oppositionelle Fidesz-Bürgerbund von Ex-Premier Viktor Orban, der mit 49 Prozent noch an der Spitze liegt, kritisiert vor allem die privatisierungsfreundliche Regierungspolitik der sozialdemokratisch-liberalen Koalition. Als Ausverkauf der nationalen Interessen und den Versuch, sich auf Kosten des Volkes zu bereichern, wird die Privatisierung vom Fidesz bezeichnet. Und immer wieder tauchen als Beleg Namen von sozialdemokratischen Funktionären auf, die es zu beträchtlichem Privatvermögen gebracht haben. "Sozialistische Millionäre" nennt sie die konservative Presse: Immer wieder in ihr Visier kommt Sportminister Ferenc Gyurcsany, ein enger Vertrauter von Premier Peter Medgyessy, der nach der Wende sehr schnell vom kommunistischen Funktionär zum erfolgreichen neoliberalen Unternehmer mutierte.

Dass die Sozialisten in Wirklichkeit sich ganz und gar nicht um das Wohl des einfachen Bürgers kümmern, diese Ansicht vertritt Fidesz-Chef Viktor Orban schon lange. Bei einer Wahlveranstaltung in Györ malte er diese Woche aber ein neues Schreckgespenst an die Wand: "Die Regierung Medgyessy hat bereits ein weiteres radikales Sparprogramm vorbereitet, sie wartet nur die EU-Wahlen ab, bis sie das zugibt."

Schelte auf die Sozialisten-Millionäre einerseits, plötzliches Ausscheren aus der Irak-Koalition auf der anderen Seite, mit diesen beiden Punkten will Orban seinen Vorsprung in den Meinungsumfragen über die Wahl-Ziellinie retten. "Ich wünsche mir, unsere Soldaten so bald wie möglich wieder zu Hause zu sehen.", sagt er daher, obwohl er ursprünglich die Truppenentsendung in den Irak unterstützte.

Weiterhin im Mittelpunkt der Fidesz-Kritik bleibt auch der aus Israel stammende Chefberater der sozialdemokratischen MSZP, Ron Werber. Werber, der unter anderem Präsident der Internationalen Vereinigung politischer Berater ist, lange Zeit zum engsten Kreis von Schimon Peres zählte, hat die ungarischen Sozialdemokraten schon 2002 gecoacht. Schon damals sorgte er für Aufsehen. Fidesz bezeichnet er gern als "paranoide Orban-Gang". Der zahlt es ihm mit Verachtung heim: "Einen internationalen Söldner in Diensten verschiedener politischer Kräfte", nannte ihn unlängst Orbans Fidesz, was in Zusammenhang mit wiederholter Betonung von Werbers israelischer Herkunft vielfach als nur notdürftig kaschierter Antisemitismus empfunden wurde.

Europa-Themen fehlen

Was im Fidesz-Wahlkampf derzeit indessen weitgehend fehlt, ist Europapolitik im engeren Sinn. Premier Peter Medgyesy nimmt das zum Anlass, gleich der gesamten Rechten die Berechtigung, Ungarn im Europäischen Parlament zu vertreten, abzusprechen: "Jetzt drängen sich Leute nach vor, die noch vor Kurzem meinten, wir können auch ohne die EU auskommen."

Allerdings scheint auch den Sozialdemokraten das Europaparlament letztlich nicht übertrieben wichtig zu sein. Die sozialdemokratische Wahlliste wird zwar von zwei politischen Schwergewichten, von Außenminister Laszlo Kovacs und Ex-Premier Gyula Horn angeführt. Doch beide haben schon jetzt angekündigt, in der ungarischen Politik zu bleiben, und ihr EU-Mandat an weniger prominente, weiter hinten gereihte Kollegen abzugeben. n