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Die Schlinge um den IS wird enger

Von Arian Faal

Politik

Der IS spart: Urlaubsverbot und weniger Sold statt versprochenem Paradies.


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Damaskus/Aleppo/Wien. Mohammed T. hat endgültig genug. Vom Terror, vom Töten, vom Leichengeruch und von dem bisschen Geld, das er dafür bekommen hat. Der 22-Jährige war monatelang für die sunnitische Terrormiliz "Islamischer Staat" im Fronteinsatz und kämpfte in Syrien, in Libyen und im Irak für die Errichtung des heiligen Kalifats.

"Es war ein Unsinn. Ich will nun andere davor bewahren, diesen Fehler zu wiederholen und so getäuscht zu werden wie ich", schreibt der Syrer in einem Internetforum und warnt junge Araber davor, sich der Terrormiliz anzuschließen. Mohammed T. ist kein Einzelfall. Hunderte Deserteure haben es ihm in den vergangenen Wochen gleichgetan. Das Kapitel "Ich kämpfe für den IS" ist für sie alle abgeschlossen.

Für die Führungszentrale des IS ist diese Abwanderung von Kämpfern mittlerweile zu einem ernsthaften Problem geworden. Doch Verlust von loyalen, jungen Soldaten an der Basis ist bei weitem nicht die einzige Sorge, die die islamistische Miliz derzeit plagt: In den vergangenen Wochen gab es massive Gebietsverluste. Ende März rückten syrischen Regierungstruppen in der symbolisch bedeutsamen Oasenstadt Palmyra ein. Zunehmend unter Druck gerät der IS auch durch die gezielte Tötung seiner Führungskader und die immer größer werdenden Absatzschwierigkeiten beim Öl.

Radikales Sparpaket

Die Öleinnahmen machen neben Steuern, diversen kriminellen Aktivitäten und der Kriegsbeute den Großteil der "IS-Staatseinnahmen" aus. Angesichts des Ausfalls der Haupteinkünfte hat das selbsternannte Kalifat seinen Untertanen und Kämpfern bereits im März ein radikales Sparpaket verordnet: Weniger Lohn, Unterbrechungen in der Wasser-, Gas-, und Stromversorgung, Benzinrationierungen und der Verzicht auf Gehaltserhöhungen gehören ebenso dazu wie das Urlaubsverbot.

Wer sich den strikten Regeln nicht fügt, wird beseitigt. In regelmäßigen Abständen kommt es mittlerweile zu Massenexekutionen von eigenen Soldaten. Meistens handelt es sich um aus dem Ausland rekrutierte Kämpfer, die ermordert werden. Erst vor kurzem wurden 15 IS-Kämpfer im Zusammenhang mit dem Tod des hochrangigen IS-Vertreters Abu Hija al-Tunisi hingerichtet. Den Männern wurde vorgeworfen, ihre Pflicht nicht erfüllt zu haben, als al-Tunisi bei einem westlichen Luftangriff ums Leben kam. Auch wegen Spionageverdachts wurden zuletzt immer mehr IS-Kämpfer exekutiert.

Vor allem im März und April waren die Gebietsverluste beträchtlich gewesen: Zum einen musste die sunnitische Extremistenmiliz die nördliche Region rund um Aleppo aufgeben.

In der Schlüsselstadt Aleppo selbst drängen die Truppen des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad immer weiter vor und liefern sich mit verschiedenen Terrorgruppierungen einen erbitterten Kampf. Zum anderen sieht man sich laufend mit Luftangriffen auf die IS-Hochburg Raqqa in Nordsyrien konfrontiert. Erst vor wenigen Tagen starben dort 32 Menschen, darunter acht Zivilisten und 24 IS-Kämpfer.

Wichtiger Etappensieg

Im Irak sieht es für den IS nicht viel besser aus. Irakische Regierungstruppen haben nach eigenen Angaben mittlerweile rund 90 Prozent der strategisch wichtigen Stadt Hit eingenommen. Über zahlreichen Gebäuden sei die irakische Flagge gehisst worden, sagte der irakische Oberst Jasir al-Dulaim. Hit, rund 180 Kilometer westlich der Hauptstadt Bagdad, war erst im Herbst 2014 vom IS erobert worden. Der Ort liegt an einer der Hauptversorgungsrouten der Terrormiliz im Irak. Seine Rückeroberung gilt als Voraussetzung, um auch den Rest der Unruheprovinz al-Anbar wieder unter Kontrolle bringen zu können. Einen ähnlich wichtigen Erfolg hatten die Regierungstruppen bereits zum Jahreswechsel errungen. Damals war es gelungen, den IS aus der Provinzhauptstadt Ramadi zu vertreiben.

Dass der IS militärisch immer stärker unter die Räder gerät, hat aber nicht nur für die Region selbst Folgen. Angesichts des wachsenden Drucks blicken die Terroristen nun noch viel stärker als früher Richtung Westen. Nach den Anschlägen von Brüssel hat die Propagandaabteilung der Miliz mehrmals mit weiteren Attentaten in Westeuropa gedroht und dabei auch Berlin, London und Rom als mögliche Ziele ihrer Terroraktionen genannt. Ebenfalls erwähnt wird die kommende Fußball-EM in Frankreich.

Die IS-Gegner versuchen indessen die aktuelle Krise der sunnitischen Extremistenmiliz auszunutzen und verstärken ihre Angriffe, auch wenn diese nicht immer untereinander abgestimmt sind. Das Ziel, den IS zu zerstören, eint sie allemal. So greifen Russland, der Iran, die syrische Armee und die von den USA angeführte Allianz nun neben anderen vom IS dominierten Gebieten auch die Hochburg Raqqa an.

Raqqa und Aleppo im Visier

Raqqa gilt neben Mossul im Irak als inoffizielle Hauptstadt der radikalen Terrororganisation. "Wenn wir Raqqa und Aleppo haben, dann ist das Glück auf unserer Seite", heißt es innerhalb der syrischen Armee, die sehr viele besetzte Gebiete mit russischer Hilfe aus der Luft und iranischer Unterstützung am Boden zurückerobern konnte.

Erst vor wenigen Tagen hatte Teheran neue Elitesoldaten und Finanzmittel nach Syrien geschickt, um die Regierungstruppen im Kampf gegen die Terroristen zu unterstützen.

Aber auch die USA wollen sich noch stärker einbringen. Erstmals seit dem Ende des Golfkrieges 1991 verlegten sie wieder B-52-Bomber in den Nahen Osten. Die seit vergangenem Samstag in Katar stationierten Maschinen verfügen über Präzisionswaffen, von denen man sich eine effizientere Zerstörung feindlicher Ziele verspricht.

Morgenluft im Kampf gegen den IS wittern aber auch die sogenannten "gemäßigten Rebellen", die vom Westen unterstützt werden. Erst kürzlich haben die Assad-Gegner einen wichtigen Sieg im Süden des Landes errungen. Da vertrieben sie die Islamisten aus Tasil, einer Stadt in der Provinz Deraa, die an Jordanien grenzt.

Am Donnerstag soll es nun weitere Angriffe auf IS-Gebiete in Syrien geben. Eines dürfte damit gewiss sein: Deserteure wie Mohammed wird es in nächster Zeit sowohl in Syrien als auch im Irak viele geben.