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Die deutsche Sopranistin Christine Schäfer fällt unter den Sängerinnen des klassischen Faches als aparte Erscheinung auf. Ihr fehlt vor allem das Gravitätische, Divahafte, das die meisten ihrer
Kolleginnen als Markenzeichen vor sich her tragen. Statt dessen strahlt sie jene kühle, um nicht zu sagen: coole Attraktivität aus, die man sonst eher bei jüngeren Karrierefrauen in amusischen
Branchen bewundern kann.
Vorgestern Abend war die Sängerin in "arte" zu hören · und vor allem auch zu sehen. Die Aufnahme des Schönbergschen "Pierrot Lunaire", die sie mit Pierre Boulez zusammen eingespielt hat, wurde
nämlich unter dem vage sentimentalen Titel "Eine Nacht, ein Leben" verfilmt. Das heißt: der poetische Text von Schönbergs Sprechgesang wurde frei assoziativ bebildert. Als postmoderner Pierrot im
schwarzen Hosenanzug geisterte die Sängerin durch die Berliner Nacht, mehrmals warf sie eine Doppelgängerin ihrer selbst von einem Baugerüst hinunter, dann fuhr sie mit dem Taxi durch hell
erleuchtete Straßen und landete schließlich sogar als nackte, nur von Federn bedeckte Leiche auf einem Seziertisch der Charité.
Schönberg als Videoclip also. Klar, dass Christine Schäfer die Idealbesetzung für ein solches Projekt war. Schade nur, dass die überbordende Bilderfülle die Aufmerksamkeit von der Tonspur allzu sehr
ablenkte. Denn eine gute Sängerin ist die schöne Frau Schäfer, nebenbei bemerkt, auch.