Freispruch für 31-Jährigen, der Schönheitschirurgin an Schulter festgehalten haben soll.
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Wien. Kaumgummi kauend sitzt der Angeklagte vor dem Richter. "Können’s den bitte loswerden?", fährt die Staatsanwältin ihn an. Der 31-Jährige steht auf, fragt, wo denn der Mistkübel sei, gehorcht dann und entledigt sich des Kaugummis. Schweigend nimmt er wieder Platz. Am gegen ihn geführten Strafverfahren will er sich so wenig wie möglich beteiligen. Mehrfach macht er von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Selbst zu seinen Personalien will er kaum Auskunft geben.
Der Fall seines Mandanten gehöre allenfalls vor das "heitere Bezirksgericht", sagte Verteidiger Philipp Wolm in seinem Eröffnungsplädoyer. Sein Mandant hatte sich am Donnerstag im Straflandesgericht Wien vor Richter Peter Sampt wegen des Vergehens der Nötigung zu verantworten. Er soll im September einer Ärztin vor einem Gebäudeausgang den Weg versperrt und sie dabei an den Schultern festgehalten haben.
Vorausgegangen war dem Vorfall ein jahrelanger Nachbarschaftsstreit zwischen der Ärztin und dem Angeklagten. Die Ärztin betreibt eine Schönheitsklinik im ersten Bezirk über der Wohnung des 31-jährigen Familienvaters. "Er fühlt sich seit Jahren von dem Lärm, der von der Ordination ausgeht, belästigt", erklärte Verteidiger Wolm. Der Bitte des Angeklagten, die Böden der Ordination mit einem Teppich auszulegen, sei die Ärztin nicht nachgekommen, behauptete Wolm.
Die Lebensverhältnisse des anzugtragenden Angeklagten blieben weitestgehend mysteriös. Zu seinen Vermögensverhältnissen wollte er nichts sagen. Nur kurz ließ Wolm anklingen, dass der arbeitssuchende 31-Jährige von seiner Familie finanziell unterstützt werde. Auch zum Sachverhalt verweigerte der 31-Jährige die Aussage. Daraufhin wurde die Ärztin als Zeugin befragt.
Die 53-Jährige hat sich ein jugendliches Aussehen bewahrt. In einer schwarzen Lederjacke und weißen Jeans saß sie vor dem Richter. "Er ist psychisch auffällig", sagte sie über den Angeklagten. Andauernd würde er die Polizei rufen und in ihre Praxis stürmen. Einer Ordinationshilfe hätte er einmal vor die Füße gespuckt.
Am Tag des Vorfalls sei sie zu einer Reitstunde unterwegs gewesen, als sie dem 31-Jährigen im Stiegenhaus begegnete. "Bleiben Sie stehen, wir müssen reden", sei er sie angefahren. Mit dem Lift sei sie dann ins Erdgeschoß gefahren, wo der Mann auf sie gewartet habe. "Sie reden jetzt mit mir!", habe er gesagt. Es kam zu einem Handgemenge, kurz habe er sie auch an den Schultern festgehalten. Er habe erst von ihr abgelassen, als sie laut zu schreien begonnen habe.
"Wie lange hat er Sie festgehalten?", fragte Sampt. "Nicht lange. Vermutlich zehn Sekunden." "Würden Sie umgangssprachlich meinen, dass er Gewalt angewendet hat?" - "Nein." Allerdings habe sie Herzklopfen und "große Angst" vor ihm gehabt.
"Das ist nicht o.k."
"Der Tatbestand der Nötigung ist objektiv nicht erfüllt", sagte Sampt und sprach den Angeklagten frei. Der Gewaltbegriff der Nötigung sei nicht erfüllt, wenn man jemanden nur wenige Sekunden an der Schulter festhalte. Die Schönheitschirurgin, die sich dem Verfahren mit 2000 Euro Schmerzengeld angeschlossen hatte, wurde auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Die Staatsanwältin gab keine Erklärung ab, damit ist das Urteil nicht rechtskräftig. "Dass es den Vorfall gab und dass das nicht o.k. ist, steht außer Zweifel", meinte Sampt zum Angeklagten. "Wenn das so weitergeht, bin ich überzeugt, dass wir uns bald wiedersehen."