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Die schrumpfende Wählerschaft

Von Matthias Winterer

Politik

Trotz Bevölkerungsexplosion dürfen heute weniger Wiener wählen als noch Anfang der 1980er Jahre.


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Wien. Hohle Phrasen, gesichtslose Akteure, verlorene Glaubwürdigkeit. Sinnlose Machtkämpfe flimmern gerade im Wahlkampf inflationär über die Fernsehbildschirme. Dass die Politikverdrossenheit da zunimmt, verwundert kaum. Doch vielleicht hat das auch andere Gründe? Denn warum sollte man sich für Politik interessieren, wenn man sowieso nicht gefragt wird? Immer mehr Wiener sind nicht zu den Wahlen zugelassen. Die Kluft zwischen Wahlberechtigten und Ausgegrenzten steigt.

Wien wächst beträchtlich. In den vergangenen 30 Jahren um fast 250.000 Menschen - das entspricht der Bevölkerung von Graz. Dennoch sank die Zahl der Wahlberechtigten im selben Zeitraum. "Wien ist eine wachsende Stadt mit schrumpfender Wählerschaft", sagt Ramon Bauer vom Institut für Demografie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Der Demograf untersucht die Wählerstruktur der Hauptstadt. Die Zahl der Stimmberechtigten ist gegenwärtig sogar niedriger als Anfang der 1980er Jahre. Dabei darf man heute - im Unterschied zu damals - bereits ab 16 Jahren wählen. Die Ausgeschlossenen wurden immer mehr. Rund 335.000 Wiener im Wahlalter dürfen bei der diesjährigen Wiener Gemeinderatswahl kein Kreuzerl machen - weil sie keine österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. EU-Bürger können dies zumindest auf Bezirksebene tun.

Wien wächst seit den 1990er Jahren, vor allem durch internationale Migration. Einem Großteil der Zuwanderer ist es jedoch nicht möglich, auf politischer Ebene mitzuentscheiden. Im Jahr 2012 waren 20 Prozent aller Wiener nicht berechtigt zu wählen, obwohl sie über 16 Jahre alt waren. Das ist bei weitem mehr als die Einwohnerzahl des Burgenlands. Österreich zählt zu den restriktivsten Staaten innerhalb der EU, zumindest was das Wahlrecht betrifft. Anders als zum Beispiel in Großbritannien, Portugal oder Irland, wo Drittstaatenangehörige bestimmter Nationalität sogar auf nationaler Ebene Mitspracherecht zugesprochen wird.

Strenge Auflagen für Staatsbürgerschaft

Bei der kommenden Wiener Gemeinderatswahl dürfen sich ausschließlich österreichische Staatsbürger beteiligen. Doch der Weg zur Staatsbürgerschaft ist hierzulande steinig. Sie kann frühestens nach zehnjährigem ununterbrochenem Aufenthalt bewilligt werden - selbstverständlich nur unter Erfüllung strenger Voraussetzungen und Auflagen.

Für Alexander Pollak, Sprecher der Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch, ist dies zu streng. "Demokratie lebt von Beteiligung, nicht von Ausschluss. Daher sind wir für ein Ende der Ausschlusspolitik. Es sollte eigentlich das Herz eines jeden Politikers höher schlagen lassen, wenn Menschen, unabhängig von ihrem Pass, Interesse an der Politik der Stadt, in der sie leben, bekunden."

53.000 in Wien lebende Serben dürfen an der diesjährigen Wien-Wahl nicht teilnehmen. Dem stehen lediglich 24.500 im Balkanstaat geborene Wahlberechtigte gegenüber. Damit sind sie die größte politisch exkludierte Minderheit Wiens. Gefolgt von 33.800 Türken, die zwar in Wien leben, hier aber nicht mitbestimmen können.

An dritter Stelle in diesem Ranking der ausgeschlossenen Communitys liegen die Deutschen. Grundsätzlich gilt für fast alle Herkunftsländer, dass die Anzahl ihrer Nicht-Wahlberechtigten jene mit österreichischer Staatsbürgerschaft übersteigt.

"Ich lebe hier, zahle Steuern, darf aber nicht wählen"

Martyna ist eine von 27.000 hier lebenden Polinnen, die nicht berechtigt sind zu wählen. Vor 15 Jahren kam sie nach Wien. "Ich bin Teil der Gemeinschaft, arbeite, wohne und lebe hier. Ich zahle Steuern und habe fast ausschließlich österreichische Freunde, trotzdem darf ich nicht abstimmen", sagt sie in akzentfreiem Deutsch.

Auffällig ist auch das sinkende Mitspracherecht der 30- bis 44- jährigen Wiener. Laut Ramon Bauer ist dies die einzige Gruppe von österreichischen Staatsbürgern, die seit 2002 geschrumpft ist. Um 18 Prozent in nur einem Jahrzehnt. Der Trend ist eindeutig: Viele Jungfamilien verlegen ihren Lebensmittelpunkt hinter die Gemeindegrenze ins Wiener Umland. Dieser Verlust wird durch internationale Zuwanderer wieder ausgeglichen. Die meisten der Zuwanderer sind zwischen 30 und 44 Jahre alt.

Das führt dazu, dass heute fast ein Drittel der jungen Wiener Erwachsenen nicht in die politischen Prozesse der Stadt eingebunden ist. Und das in einem Alter, in dem man mitten im Leben steht. In dem man arbeitet, Steuern zahlt, Kinder bekommt, Familien gründet und diese versorgt. Kurz, sich partizipiert.

Bei der vergangenen Wien-Wahl im Jahr 2010 gaben nur 68 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Wäre dies heuer wieder der Fall, dann würden weit weniger als 50 Prozent der Wiener Bevölkerung politisch mitbestimmen. Die Politikverdrossenheit könnte also hausgemacht sein.