Externe Experten wollen Schulen beraten und Lehrer entlasten - dazu bräuchte es mehr Autonomie.
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Wien."Was macht eine gute Schule aus?" Das ist die Gretchenfrage der Bildungspolitik. John Hattie - für die englische Times "der wohl einflussreichste Bildungswissenschafter der Welt" - kam vor etlichen Jahren zu dem Schluss: Die Qualität des Unterrichts steht und fällt mit dem Lehrer. Der neuseeländische Bildungsforscher hat in seiner viel zitierten Studie mehr als 800 Metaanalysen angestellt, die Ergebnisse von 50.000 Einzelstudien flossen ein. Er wollte herausfinden, was eine gute Schule ausmacht. Finanzielle Ausstattung, Klassengröße, Lehrmethoden stufte er als zweitrangig ein. Für die Qualität des Unterrichts seien einzig und allein die Lehrer verantwortlich.
Doch liegt - pathetisch formuliert - die Zukunft unserer Kinder tatsächlich in den Händen einer einzigen Lehrperson? Immerhin bewegt sich diese ja auch nur innerhalb der vorgegebenen Strukturen. Auf diese Strukturen fokussiert eine aktuellere Studie. Sie besagt, das entscheidendere Kriterium für den Erfolg der Schüler sei das Management der Schule. Die Forscher aus Stanford, Harvard und der London School of Economics haben 1800 Schulen in acht Ländern untersucht. Ihre Conclusio: Am besten schneiden Schüler in Schulen ab, die gut geführt werden. Gutes Management fanden die Forscher wiederum an jenen Schulen vor, die in Bezug auf Lehrplan oder die Auswahl von Lehrern und Schülern autonom waren - ob staatliche oder private Schule, spielte eine untergeordnete Rolle.
Neues Kundensegment: Schule
Die Studie kommt für die Unternehmensberaterin, Wirtschaftspädagogin und Lehrerin Sabine Fischer wie gerufen. Die Managerin, die im Bereich Marketing, Vertrieb und Personalentwicklung international Karriere gemacht hat, hat sich vorgenommen, Schulen zu professionalisieren. Vor allem im Bereich Personalentwicklung und Ressourcenmanagement fehle den Schulen das Know-how, weiß Fischer aus eigener Erfahrung als Lehrerin. Hilfe von außen würde nicht nur die Führungs- und Unternehmenskultur verändern, sondern auch Lehrer entlasten.
Fischer ist Teil von UBIT; die Fachgruppe der Wiener Wirtschaftskammer versammelt Unternehmensberater, Buchhalter und Informationstechnologen. In diesen Bereichen sollen die Schulen entlastet werden: Lehrer könnten die Abrechnung von Schulskikursen an professionelle Buchhalter abgeben, die Computerwartung IT-Spezialisten übernehmen. "An den Schulen stören ineffiziente Prozesse keinen, da keine Überstunden anfallen, sondern Lehrer die Zusatzarbeit in ihrer Freizeit erledigen", kritisiert Fischer. Das erklärt ihrer Meinung nach die hohe Burn-out-Rate unter den Lehrern. Auch hinsichtlich der Kosten sei die Ineffizienz ein Schuss ins Knie: "Das Geld, das wir uns anscheinend an Schulstandorten sparen, zahlen wir später für Arbeitslose, Kriminalität und Schwächung des Wirtschaftsstandortes."
Die Beratung der Wirtschaftskammer an Schulstandorten ist freilich nicht kostenlos, wenngleich zu Beginn des Projekts "UBIT-Unternehmen und Schule" einen Teil der Kosten die Wirtschaftskammer übernehmen soll. Inwieweit die Schulen das externe Beratungsangebot annehmen werden, ist fraglich. Denn bei der Finanzierung stoßen Direktoren - Stichwort fehlende Schulautonomie - schnell an Grenzen. Vor allem im Pflichtschulbereich gibt es keine Töpfe, auf die Direktoren von Volksschulen, Hauptschulen, Neuen Mittelschulen autonom zugreifen könnten. Unterstützung kommt allenfalls in Form von Beratungslehrern. "Wir verstehen uns als Lobbying-Projekt", sagt Unternehmensberater Guido Schwarz von UBIT: "Wir wollen an den entscheidenden Stellen erreichen, dass Schulautonomie in Zukunft einen gewissen Wert hat." Erfolgreiche Pilotprojekte sollen den Nutzen der Autonomie unter Beweis stellen.
Einige Beispiele gibt es bereits: In der Volksschule Sievering in Wien-Döbling - eigentlich ein Hort bürgerlicher Friedfertigkeit - fielen Schüler plötzlich mit aggressivem Verhalten auf. Was sich innerhalb der 125 Jahre alten, frisch renovierten, schönbrunngelb gestrichenen Gemäuer abspielte, waren im Vergleich zu dem Schulalltag an den meisten öffentlichen Schulen wohl Kinkerlitzchen - vielleicht wurde der Schule deshalb öffentliches Geld verwehrt. Trotzdem wollte die Schule das Problem aus der Welt schaffen und holte den Unternehmensberater Schwarz. Der Elternverein übernahm die Kosten. Mittels Motivforschung sorgte er dafür, dass die Welt in der Schule in Döbling wieder heil war. Zuletzt hat Schwarz eine Zusammenlegung von Schulstandorten in Amstetten begleitet, zwei Hauptschulen wurden zu einer Neuen Mittelschule. Das barg in der Lehrerschaft Konfliktpotenzial, deshalb holte sich der Direktor Unterstützung. Das Geld dafür kam vom Land, der Gemeinde und der Pädagogischen Hochschule.
Der Kampf mit den Behörden
Auch im Bereich der Bundesschulen, also etwa bei Gymnasien, müssen Schulleiter erfinderisch werden. Vor zehn Jahren war der wirtschaftskundliche Zweig des Gymnasiums Parhamerplatz mit Fächern wie "Hauswirtschaftslehre" veraltet und alles andere als zeitgemäß. Doch als der damalige Direktor Stefan Böck den Zweig modernisieren wollte, indem er das Fach "Projektmanagement" einführte, hatte er ein Problem: Es gab niemanden, der dieses Fach hätte unterrichten können, in der Lehrerausbildung und an den Universitäten gab es das Fach nicht. Also holte sich der Direktor Unternehmensberater an die Schule, die seine Lehrer in "Projektmanagement" ausbildeten. Bezahlt wurde die mehr als zweijährige Ausbildung aus dem Topf für Lehrerfortbildung und - zum größten Teil - vom Elternverein. Da die ausgebildeten Lehrer nicht nur im wirtschaftskundlichen Teil der Schule unterrichten, profitierten auch die anderen Schüler davon - laut Böck hat sich durch das neue Pflichtfach, in dem heuer die ersten Schüler maturiert haben, die Schule grundlegend verändert: Es habe ein Professionalisierungsschub stattgefunden, Konflikte werden nun eher rational als emotional ausgetragen, zwischen den Lehrern bestehe seither eine ganz neue Vertrauensbasis. Dass im selben Zeitraum viele junge Lehrer in die Schule kamen und die Alten in Pension gingen, hat diesen Prozess zusätzlich unterstützt.
Ist derzeit also, selbst mit relativ wenig Autonomie, viel möglich an Österreichs Schulen? Ja, aber hinter den Erfolgsgeschichten steckt oft ein jahrelanger Kampf mit den Behörden. "Ich musste ein Drittel meiner Arbeitskapazität für diesen Kampf aufwenden", erzählt Böck. Sein "größter Kampf" war der für geblockte Unterrichtsstunden. Hat er mehr als die vorgeschriebenen 50 Minuten unterrichtet, fürchtete er, geklagt zu werden. Autonomie alleine mache nichts besser, sagt er - aber sie würde mehr Spielraum geben, und das würde auch dem angekratzten Lehrerimage guttun. Er hat sich mit den Problemen an seiner Schule oft alleingelassen gefühlt: "Das Schlimmste war die Ohnmacht."
Doch ist es wirklich die Lösung, vom Elternverein bezahlte, private Berater an die Schulen zu holen? Haben dadurch Schulen wie die Volksschule in Döbling nicht einen großen Vorteil gegenüber migrantisch dominierten Schulen? Genau hier sollte der Staat eingreifen, indem er "Problemschulen" mehr Budget zur Verfügung stellt, das von den Direktoren autonom eingesetzt werden kann, sagen Befürworter der Schulautonomie. Es stellt sich aber auch die Frage, inwieweit Schulen - immerhin Hort eines der höchsten öffentlichen Güter, der Bildung -von Privaten mitgestaltet werden soll. Allein bei der Terminologie von Unternehmensberaterin Fischer dürfte Kritikern der Bildungsökonomisierung widerstreben: Sie vergleicht Schulen gerne mit "Filialen", die alle denselben "Marketingauftritt" haben, aber "unterschiedliche Produkte im Sortiment".
Ökonomisierung von Bildung?
Dennoch: Die UBIT-Initiative stößt auf positive Resonanz. "Ich finde es sehr gut, dass Schulen entlastet werden", sagt die ehemalige AHS-Direkorin Heidi Schrodt. "International stehen wir in diesem Bereich sehr schlecht da. Wir haben keine Managementstruktur, die allermeisten Pflichtschulen haben nicht einmal ein Sekretariat." Doch inwieweit können Unternehmensberater ohne jegliches pädagogisches Vorwissen Schulen adäquat beraten? Schwarz, selbst seit 17 Jahren in der Schulentwicklung tätig, betont: Im Konfliktmanagement oder bei der Teamentwicklung wäre es sogar hinderlich, die Strukturen und handelnden Personen zu kennen. Er räumt aber auch ein: "Nur wenn es ein Problem gibt, das Schulen nicht ohne externen Spezialisten lösen können, macht es Sinn, dass ein externer Berater an die Schule geht." Auch Bildungswissenschafter Erich Ribolits sagt: "Um einen guten Betrieb aufrecht zu halten, braucht man in Problemfällen Beratung von außen." Ribolits, der bis 2008 die Forschungseinheit Aus- und Weiterbildung an der Uni Wien geleitet hat, sagt: "Ich habe prinzipiell nichts gegen Schulautonomie einzuwenden. Vielleicht gelingt es autonom wirklich besser, Jugendliche nicht stromlinienförmig an den Bedarf anzupassen." Man sollte aber die Motive der Beratung der Wirtschaftskammer im Auge behalten. Welche Interessen verfolgt die Wirtschaftskammer mit dem UBIT-Projekt?
Wie man gute Lehrer hält
"Kollegen aus der IT finden kaum Fachkräfte, Unternehmer kaum noch Lehrlinge, die lesen, schreiben und rechnen können." Professioneller agierende Schulen würden diese Probleme lösen, glaubt Fischer. Hier kritisiert Ribolits, der Selbstzweck von Bildung würde wieder einmal völlig ins Hintertreffen geraten: "Viele Jugendliche verlieren das Interesse an Bildung, weil sie von Anfang an spüren, dass es nicht um den Wert der Bildung an sich geht, sondern darum, einen Job zu finden." Die Unternehmensberaterin will mit ihrem Projekt sofort loslegen ("dazu brauche ich keinen Erlass des Bildungsministeriums"), bietet sich aber auch bei der Umsetzung der lange erwarteten Bildungsreform unterstützend an.
Bei der Bildungsreform wird man letztlich nicht um die Gretchenfrage, was eine gute Schule ausmacht, herum kommen. Natürlich kommt es auf die Lehrer an. Doch ihr Handlungsspielraum ist aufgrund von Computern, die an das prädigitale Zeitalter erinnern, bürokratischen Hürden und Arbeitsplätzen, die diesen Namen kaum verdienen, beschränkt. Es braucht verbesserte Rahmenbedingungen, damit jene motivierten Lehrer, die mit ihrem Veränderungswillen engagiert gegen Wände laufen, nicht aus dem System fallen.
Für die Studie Does Management Matter in Schools? wurden 1800 Direktoren höherer Schulen in Großbritannien, Schweden, Kanada, den USA, Deutschland, Italien, Brasilien und Indien in Telefoninterviews befragt. Es war eine "Double Blind"-Studie: Die Schulleiter wussten nicht, was das eigentliche Ziel der Befragung war, und die jeweiligen Interviewer wussten nichts über die Ergebnisse und Leistungen der Schule, mit deren Schulleiter sie sprachen.