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Im Township Mamelodi ist die Bildung Hilfe zur Selbsthilfe. | Theater als Mittel gegen die traurige Alltagsrealität. | Johannesburg. Als wir wieder in unser Auto in Richtung Johannesburg steigen, sind Constances Tränen wieder getrocknet und sie bemüht sich verkrampft ein wenig zu lächeln. Den rosaroten Hut, unser Abschiedsgeschenk in der Hand, winkt sie schüchtern dem Mietauto zum Abschied hinterher. Schweigsam fahren wir zurück nach Mellville in das Haus mit den hohen Mauern und dem Stacheldraht, wo Constance und ihr Alltag weit weg sind.
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Begonnen hat unser Treffen drei Stunden zuvor, als unser Team, bestehend aus zwei Journalisten und einem Kameramann, die 13-jährige Constance Mtuli von ihrer Schule abholen.
Das Mädchen lebt im Township Mamelodi, einer informellen Siedlung mit über 1,5 Millionen Bewohnern, die als südafrikanisches Synonym für Armut und Hoffnungslosigkeit gilt. Entgegen dem Muster des europäischen Elendsjournalismus in Afrika wollen wir über positive Biografien in Townships berichten. Constance Mtuli haben wir dazu als Protagonistin ausgewählt.
Glücksfall Schulplatz
Constances Schule, die Mahlasedi Masana Primary School für 10- bis 14-Jährige, wird von der deutschen GTZ, der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit finanziell unterstützt. Die Schule ist ein positives Vorzeigeprojekt der Entwicklungsorganisation in der verarmten Hochebene 40 Kilometer nordöstlich von Pretoria. Einem Gebiet, wo der Horizont von braunen Hütten und Bretterverschlägen begrenzt ist. Mit über tausend Schülerinnen und Schülern ist die Grundschule voll ausgelastet: Jene glücklichen Jugendlichen, die wie Constance einen Platz in der Schule haben, erhalten kostenlos eine Basiserziehung in Schreiben, Lesen und Rechnen. Daneben bietet die Schule eigene Klassen und Programme zu Aidsaufklärung und Gewaltprävention an. Constance spielt in der Theatergruppe.
"Die Alltagserfahrungen zu Hause bilden die Grundlage für unsere Theaterstücke. Die Kinder erzählen in der Gruppe von ihrem Leben und ihren Familien, und daraus entwickeln wir gemeinsam die Szenen. So können sie auf der Bühne lernen, mit ihrer traurigen Alltagsrealität klarzukommen", erklärt der Lehrer Babboo Maholo. Es gäbe, so der 35-Jährige, in Mamelodi kaum Jugendliche, die nicht direkt oder indirekt von Aids und Gewalt in der Familie betroffen sind. Constance ist einer seiner besten Schülerinnen.
Beim Spiel auf der Bühne werde sie endlich von anderen Jugendlichen und den Erwachsenen respektiert, schwärmt Constance. "Ich liebe es, zur Schule zu gehen, denn dadurch komme ich meinem Traum näher. Mein Traum ist es, Ärztin zu werden. Weibliche Ärzte gibt es viel zu wenige in Mamelodi."

Constances Alternativtraum ist Fußballspielerin zu werden. Nahezu jeden Nachmittag spielt sie nach dem Unterricht auf dem sandigen Schulplatz. Ihre Lieblingsposition in der gemischten Mannschaft ist Striker, also Stürmerin. Sie übernimmt gerne die Verantwortung für ihr Team und steht mit ihren Toren im Mittelpunkt des Interesses der anderen Jugendlichen. "Ich verstehe nicht, warum so viele Kinder nicht zur Schule gehen wollen, das ist doch hier die einzige Chance."
Zukunft jenseits des Elends
Auf der Fahrt zu ihrem Haus ist Constanze bemüht, den positiven Eindruck aufrechtzuerhalten. In der Schule bekomme sie das notwendige Selbstvertrauen und die Ausbildung lässt sie hoffen, dass ihre Zukunft doch nicht im Elend des Townships liegt. Je länger unsere Fahrt dauert, desto enger wird die unbefestigte Lehmstraße, desto näher sind die aus Holz und Wellblech bestehenden Häuser an die Straße gebaut. Nach einer Viertelstunde halten wir an und parken wenige Meter neben dem Haus der Familie Mtuli. "Ich lebe hier mit meiner Mutter, meinen drei Geschwistern und meinem sechs Monate alten Neffen."
Den kleinen, aggressiv bellenden Wachhund am Zaun des Grundstücks hat Constance bei der Familienvorstellung vergessen. Im Jahr 2005 zogen sie aus dem Dorf Pumelu in der Provinz Limpopo hierher in den Großraum Pretoria. Wie Hunderttausende andere aus der strukturschwachen Provinz erwarteten sich Constances Eltern in der Nähe der Großstadt bessere Jobs und eine Ausbildung für ihre Kinder. Heute arbeitet die Mutter als Hausbedienstete in einer Suburb von Pretoria. Ihr monatliches Einkommen beträgt insgesamt 140 Euro.
Vor dem Eingang des Familienhauses bauen wir unsere Kamera für das Interview auf. Constance wird zunehmend schüchterner und antwortet reserviert auf unsere Fragen. Sie sieht während des Interviews beschämt auf den feuchten Boden und nicht in die Kamera. Zögerlich führt sie uns durch die zwei Zimmer und die Wohnküche der sechsköpfigen Familie. Über das Wellblechdach dringt die Hitze unerträglich in das Haus. Das einzige Fenster des Hauses ist geschlossen und mit Kondenswasser angelaufen, nur durch die Eingangstüre kommt ein wenig Luft in den Innenraum.
Frischluft ist für die Familie weniger wichtig als ein gegen die heftigen Regengüsse abgedichtetes Haus. Die Essens- und Schlafgerüche vermischen sich in dem Raum mit der Feuchte und verdunsten in der Hitze. Der Fernseher läuft. "Wir essen fast immer Fleisch und Reis, sonst nichts." Constance ist es unangenehm, ihr Privatleben vor uns auszubreiten.
Das Meer als Traum
Etwas Schönes möchte sie uns dann doch zeigen, ein Poster an der Wand über der Kochstelle. "Ich mag das Foto sehr gern, es beruhigt mich." Das Poster ist eine Fotoansicht einer kleinen Hafenbucht. Saubere beige und rote Häuser mit bunten Blumen auf dem Fensterbänken und davor ein tiefblaues Meer. Constance kann uns nicht sagen, wo das Foto aufgenommen wurde. Das Mädchen ist sich bewusst, dass sie selbst ohnehin das Meer nie sehen wird können. Sie war auch noch nie in der nur 30 Kilometer entfernten südafrikanischen Hauptstadt Pretoria, zu teuer ist der Preis von 10 Rand für den Minibus.
Unser Gespräch ist verkrampft. Die Fragen an das junge Mädchen führen immer öfter zu Schulterzucken. Den selbstbewussten Eindruck, den wir von Constanze in ihrer Schule bekommen haben - einer jungen hoffnungsvollen Schülerin, Schauspielerin und Fußballerin -, wird zu Hause von ihrer Realität eingeholt. Auf die Frage nach dem Verbleib ihres Vaters bricht Constance plötzlich in Tränen aus und bittet darum, das Interview abzubrechen.
Beim Abschied erklärt uns die Mutter kurz angebunden: "Er hat getrunken und sich mit dem HI-Virus angesteckt. Eine Zeit lang konnten wir uns seine Medikamente noch leisten. Doch er verlor schnell seine Arbeit und mein Gehalt alleine reichte nicht aus für die Therapie. Vergangen März ist er gestorben."