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Befürworter eines Mehrheitswahlrechts führen als Vorzug dieses Systems immer wieder an, dass Regierungsbildungen nach den Wahlen einfach seien, da sich der Sieger nicht mit den Forderungen von Koalitionspartnern herumschlagen muss. In der Regel trifft das auch zu. Der Ausgang der britischen Wahlen vom Donnerstag zeigt aber, dass es auch völlig anders kommen kann. | Brown überlässt Tories den Vortritt
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Vergleicht man die heurigen Wahlen mit jenen vom 5. Mai 2005, zeigen sich die Ungerechtigkeiten des Mehrheitswahlrechts hingegen in einer anschaulichen Deutlichkeit. Tony Blair erreichte vor fünf Jahren bei einem Stimmenanteil von 35,2 Prozent eine klare absolute Mehrheit von 356 der zu vergebenden 646 Sitze. Mit einem Stimmenanteil von knapp über 36 Prozent verfehlte der konservative Herausforderer David Cameron diese deutlich.
Noch augenfälliger wird diese Ungerechtigkeit, wenn man die Stimmenanteile mit den Mandaten vergleicht. Die Liberaldemokraten erreichten bei den Wahlen vom Donnerstag 23 Prozent, Labour 29 Prozent. Die Liberalen bekamen aber nur ein gutes Fünftel jener Parlamentssitze, die Labour einfuhr.
Beim Verhältniswahlrecht hätten Labour und Liberaldemokraten mit einem Stimmenanteil von knapp über 52 Prozent wohl eine ausreichende Mehrheit für eine Regierungsbildung, so wie Konservative und Liberaldemokraten mit etwas über 54 Prozent Stimmenanteil im Jahr 2005 eine klare Regierungsmehrheit gehabt hätten.
Das Wahlrecht beziehungsweise seine Änderung wird deshalb einer der Hauptpunkte bei den britischen Regierungsverhandlungen der nächsten Zeit sein. Die Liberaldemokraten, die vom derzeitigen Wahlrecht besonders benachteiligt sind, könnten rein rechnerisch den Konservativen zu einer Mehrheit im Parlament verhelfen, doch dürften diese kaum zu einer Wahlrechtsänderung bereit sein. Womit nur die Hoffnung bleibt, dass bei demnächst abgehaltenen Neuwahlen wieder klare Mehrheiten zustande kommen.