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Die Sechs gegen die Neun: Kompromiss oder Stillstand

Von Georg Friesenbichler

Europaarchiv

Etwas mehr als zwei Wochen bleiben dem EU-Konvent noch, um dem Gipfel von Thessaloniki einen fertigen Verfassungsentwurf vorzulegen. Unter diesem Zeitdruck kommt Bewegung in die festgefahrene Debatte um die umstrittene Institutionenreform: Sechs Länder wollen einen Kompromissvorschlag zur EU-Ratspräsidentschaft vorlegen. Neun andere Länder plädieren hingegen dafür, alles so zu lassen, wie es ist.


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Donnerstag und Freitag tritt der Konvent wieder zusammen. Einen Tag zuvor wollen sechs EU-Gründungsmitglieder (Deutschland, Italien, Frankreich, Belgien, die Niederlande und Luxemburg) ein Kompromisspapier zum Streitthema eines ständigen EU-Ratspräsidenten vorlegen. Noch immer lautet der Vorschlag von Konventspräsident Valéry Giscard d'Estaing, dass ein Ratspräsident fix für zweieinhalb Jahre bestellt werden soll, eine Wiederwahl wäre möglich. Giscard hatte seinen Vorschlag kürzlich nur insoweit abgeschwächt, dass die Kompetenzen des Amtsinhabers deutlich beschnitten werden sollen - er dürfe sich nicht in die Bereiche des Kommissionspräsidenten oder des EU-Außenministers einmischen. Giscard war damit auch einer Unterschriftensammlung des deutschen EU-Parlamentsmitglieds Elmar Brok (EVP) gegen seine starre Amtsführung zuvor gekommen.

Der Kompromiss der Sechs sieht vor, dass der EU-Ratspräsident nur für höchstens zweimal ein Jahr gewählt werden kann. Vor allem sollte er sein Amt nur nebenberuflich ausüben dürfen. Dies könnte die kleineren Staaten, bisher größte Gegner des Giscard-Planes, begünstigen.

Die Front "Groß gegen Klein" weicht aber auch an anderer Stelle auf: So wie unter den Sechs auch drei kleine Staaten dabei sind, finden sich in einer anderen Gruppe drei Große: Spanien, Polen und Großbritannien plädierten gemeinsam mit Österreich, Irland, Schweden, Dänemark, Estland und Lettland dafür, die Regelungen aus dem EU-Vertrag von Nizza beizubehalten. Darin sei nämlich ein gewisses institutionelles Gleichgewicht festgeschrieben worden. Damit ist nicht der Ratsvorsitz gemeint, sondern vor allem die Zahl der Kommissare, die nach Giscards Wunsch reduziert werden soll. Aber noch andere Aspekte trieben die Neun zu diesem Vorstoß: Während dieser dem britischen Premier Tony Blair als Faustpfand für einen starken Ratspräsidenten willkommen ist, fürchten andere die vorgesehene Neuverteilung der Stimmgewichtung im EU-Rat. Der Nizza-Vertrag würde Spanien und Polen, mit Bevölkerungszahlen von jeweils rund 40 Millionen Menschen, 27 Stimmen zugestehen, verglichen mit 29 Stimmen für Länder wie Frankreich oder Großbritannien mit über 60 Millionen Einwohnern. Ein Übergewicht der kleinen und mittleren Staaten fürchtet denn auch der Vorschlag des Konventpräsidiums, der eine stärkere Orientierung an den Einwohnerzahlen vorsieht. Damit wäre es aber wiederum den drei größten Staaten möglich, einen vor den übrigen Staaten angestrebten Beschluss zu blockieren.

Für Giscard wäre mit einem Verharren auf dem Nizza-Vertrag die Arbeit des Konvents "sinnlos". Tatsächlich blieben in Nizza viele Fragen der Institutionenreform offen, ihre Klärung wurde auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Genau um dieses Manko zu beseitigen, ist der Konvent eigentlich angetreten.