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Die Seelenverkäufer

Von Thomas Seifert

Leitartikel

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Es ist der neueste Trend der Menschenschmuggler: Menschen in einen Schrottkahn pferchen, das Schiff per Autopilot auf Kurs Richtung italienische Küste bringen und dann schnellstmöglich von Bord des Seelenverkäufers gehen und die Passagiere ihrem Schicksal überlassen. So geschehen am 31. Dezember, als die "Blue Sky M" mit rund 800 Flüchtlingen an Bord von der italienischen Küstenwache in den Hafen von Gallipoli gebracht wurde, nachdem die Crew das Schiff auf Autopilot geschaltet und verlassen hatte. Und so geschehen am 2. Jänner, als die "Ezadeen" mit rund 450 Flüchtlingen an Bord von der italienischen Küstenwache unter Kontrolle gebracht wurde, nachdem das Schiff führerlos ohne Kapitän und Crew meilenweit durchs Mittelmeer geschippert war.

Man kann sich die Verzweiflung von Menschen nur schwer vorstellen, die alles auf eine Karte setzen, tausende Euro oder Dollar an Schlepper bezahlen und ihr Leben riskieren, um bei der Fahrt auf einem Geisterschiff ihrem Flüchtlingsschicksal im Libanon oder Jordanien zu entrinnen und ins gelobte Land EU zu gelangen.

Und den Zynismus der Menschenschmuggler kann man ohnehin nicht nachvollziehen, die einfach von Bord des Flüchtlingsschiffs gehen und den Tod von hunderten Menschen riskieren.

Italien fühlt sich von seinen EU-Partnern recht alleine gelassen und hat das Neun-Millionen-Euro-Programm "Mare Nostrum" zur Rettung schiffbrüchiger oder auf hoher See treibender Flüchtlinge eingestellt. Ersetzt wurde es durch die bescheidenere Operation "Triton" der EU-Grenzüberwachung Frontex.

Europa gibt in der Causa eine traurige Figur ab: Kein EU-Land will die Flüchtlinge wirklich haben, es wird darum gestritten, welches Land gnädigerweise ein paar hundert Kriegsflüchtlinge aufnimmt. Auf hoher See gerettet werden diese Menschen auch nur widerwillig. Und schließlich lässt Europa zu, dass Russland und der Iran, die Türkei, die USA und einige Golfstaaten in Syrien und im Irak Kämpfer beziehungsweise das Assad-Regime so weit ausrüsten und finanzieren, dass das Morden und Sterben weitergehen kann. Eine kohärente Syrien- und Irak-Politik der EU gibt es nicht. Würden die europäischen Staatenlenker einen Blick auf die Landkarte werfen, dann würden sie bemerken, dass es von der syrischen Küste zum EU-Mitglied Zypern nur etwas mehr als 150 Kilometer sind.