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Die Sehnsucht nach der Sicherheit

Von Konstanze Walther

Wirtschaft

Wildwuchs der TÜV-Gütesiegeln - bis hin zur Erotik-Homepage. | Wettbewerb lässt Ideen blühen. | TÜV Austria hat mit Microsoft einen globalen Kunden.


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Wien. Wo das TÜV-Logo ist, wird ein Mehrwert generiert. TÜV-Zertifikate werden daher - neben Chanel-Logos und Prada-Taschen - inzwischen auch in China gefälscht. Wo TÜV draufsteht, ist Sicherheit drinnen. Das wird auch in den Slogans suggeriert: "Mehr Sicherheit. Mehr Wert" (TÜV Süd).

Und je mehr Sicherheit, desto besser. Dabei geht es längst nicht mehr nur um technische Details von Dampfkesseln (siehe Kasten). Der kleinste in der Familie der deutschen TÜVler, der TÜV Nord ("Wir machen die Welt sicherer") wirbt etwa mit Informationen wie "Richtige Ernährung am Arbeitsplatz: Ausgewogen und in Ruhe essen" - mit einer TÜV-Arbeitsmedizinerin, die Unternehmen bei der Zusammenstellung des Kantine-Essens berät. Und der TÜV Saarland ("Wo Innovationen zu Hause sind") hat den Datenschutz auf einer Erotik-Homepage geprüft ("Die 1. TÜV geprüfte Seitensprung-Agentur auf Datenschutz").

"Die Deutschen haben mittlerweile ein TÜV-Zertifikat für alles - von der Hausfrau bis zum Regenwurm." Dieser Satz kommt nicht von einem risikoaffinen Lebemann, sondern von der Konkurrenz - dem TÜV-Austria ("Vertrauen ist gut. TÜV ist besser"). Dessen Vorstand, Hugo Eberhardt war bis vor wenigen Wochen zudem auch Präsident der Dachorganisation aller Prüfervereine, der CEOC (International Conferderation of Inspectation and Certicifcation Organisations), der nicht nur der österreichische TÜV angehört, sondern auch sämtliche deutsche TÜV und der Dekra (Deutscher Kraftfahrzeugüberwachungsverein) sowie ähnliche Organisationen in ganz Europa. Zertifizieren ist ein transnationaler Wettbewerb. Die Tochter des TÜV Austria hat sich etwa Microsoft als Kunden gekrallt - und prüft unter anderem dessen Internet Explorer 9 weltweit. Der österreichische TÜV unterhält Zweigstellen weltweit - auch in Deutschland. Wer also in Deutschland etwas TÜV-geprüftes haben will, muss nicht notwendigerweise zu den deutschen Organisationen gehen. Jeder bietet seine eigene Palette an. Die Österreicher konzentrieren sich auf Technik, IT und Umweltfragen.

Dementsprechend gibt Hugo Eberhardt deutschen Zertifizierungswahnsinn ein bisschen die Schuld, dass Fälschungen, etwa aus China, nicht mehr so leicht erkennbar sind. Denn wer kann da noch den Überblick behalten?

EU verwässerte die "Geprüfte Sicherheit"

Ein anderer Verursacher für den Wildwuchs ist die EU. "Sicher ist nur das GS-Zeichen. Das steht für Geprüfte Sicherheit. Das wollte die EU aushebeln und hat das CE-Kennzeichen eingeführt. Das sollte eine Art Reisepass für Produkte in der EU sein." Aber ohne dem CE-Zeichen darf man nichts mehr auf den Markt bringen, und der Hersteller klebt es bereits auf sein Produkt. Ein "Nonsens", so Eberhardt. 50 Prozent der geprüften CE-Produkte weisen nach GS "schwere Mängel auf", aber die Menschen glauben, es ist sicher.

Die EU öffnete auch die Tore für andere Möglichkeiten der Zertifizierung. TÜV steht nicht nur für geprüfte Sicherheit, sondern auch geprüfte System-Abläufe.

Das kann auch irreführend sein. In Deutschland kam es vergangenes Jahr zum "Busen-Platzer"-Skandal: Mehreren Frauen wurden französische Silikon-Implantate eingesetzt, deren Qualität sich als Ramsch herausstellte und bei vielen Frauen geplatzt ist. Das minderwertige Implantat trug ein Güte-Siegel vom TÜV Rheinlands ("Genau. Richtig"). Deren Entschuldigung: Man habe nur das Qualitätssicherungssystem des Herstellers geprüft - nicht das Produkt selbst. Die TÜV Austria hat den ÖBB Personenverkehr zertifiziert. "Das sagt nur aus, dass Prozesse und Abläufe im Unternehmen geregelt sind und eingehalten werden. Das hat nichts mit der Verspätung von Zügen zu tun", erklärt Eberhardt. "Ob das Ergebnis des Produkts gut oder schlecht ist, wird bei ,ISO-9000-Zertifizierungen etwa nicht einbezogen."

Der TÜV Austria mit rund 1100 Beschäftigten ist ein Verein, der das operative Geschäft in einer Aktienholding organisiert. Der Verein selbst gehört im Prinzip niemandem. ("Die meisten der Mitglieder haben es schon vergessen, dass sie dabei sind. Es gibt ja keinen Mitgliedsbeitrag", so Eberhardt.) Der Jahresumsatz beträgt mehr als 100 Millionen Euro, der Gewinn wird reinvestiert. Bis 2020 will der TÜV Austria 50 Prozent seines Umsatzes im Ausland machen (von derzeit rund 23 Prozent).

Wozu wachsen, wenn es keine hungrigen Aktionäre gibt? "Wir wollen unsere Kunden ins Ausland mitbegleiten. In Europa findet eine Entindustrialisierung statt. Wie die OMV die Petrom in Rumänien gekauft hat, kamen etwa Signale, dass sie den TÜV Austria auch in Rumänien haben wollten", erklärt Eberhardt.

Zudem gibt es im Ausland noch Herausforderungen. "90 Prozent der österreichischen Aufzüge werden von uns geprüft. Da kann man nicht mehr viel wachsen." Genauso wie die rund 5000 verbleibenden Dampfkessel in Österreich fest in der Hand des TÜV Austria sind. Die findet man noch tatsächlich in Kraftwerken, genauso wie in Wäschereien. Viel hört man nicht von ihnen. Und das ist gut so, meint Eberhardt: "Je besser wir arbeiten, desto weniger erregen wir Aufmerksamkeit."

Zeigt her das Zertifikat: Ist es wirklich vom TÜV? Und wenn ja, was hat der Überwachungsverein diesmal geprüft?

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Wissen: TÜV<p class="MsoNormal" style="font-weight: bold;">

(wakrsicht, so heißt es in der alten Binsenweisheit, ist
die Mutter der Porzellankiste. Dabei sollte man eher vor Dampfmaschinen als vor
Keramik warnen.

Ende des 19. Jahrhunderts starben täglich Menschen an den
Folgen einer Dampfkessel-Explosion, allein im damaligen Österreich forderte die
Revolution rund 1000 Todesopfer pro Jahr. Deswegen wurden schließlich
europaweit Institutionen gegründet, um die Sicherheit der Kessel zu überprüfen.
In Deutschland und Österreich nannte man sich "Technischer
Überwachungsverein", kurz TÜV.

Plötzlich ga keine Dampfkessel-Toten mehr. Und man
dachte sich, wenn das so gut funktioniert, dann wird man es doch umlegen
können, für alles, was mit Elektrotechnik zusammenhängt. Auch hier wurde die
Zahl der Sterbefälle deutlich reduziert - davon zeugt die Tatsache, dass die
"elektropathologische Abteilung" nun im Technischen Museum in Wien zu
finden ist und nicht mehr im Krankenhaus.