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Die Sehnsucht nach Freiheit

Von David Ignatius

Gastkommentare
Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

In der arabischen Jugend wächst die Skepsis gegenüber den traditionellen Werten der islamischen Gesellschaft.


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Eine von US-Unternehmen geführte Befragung junger Araber fördert manch Unerwartetes zutage. Vor dem Hintergrund des Besuchs von US-Präsident Barack Obama in Saudi-Arabien hier eine Momentaufnahme, was junge Araber denken: Sie haben Angst vor der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und vor dem Terrorismus. Sie sehnen sich nach Freiheit und Gleichberechtigung. Sie fürchten, dass der Arabische Frühling das Leben verschlechtert hat. Und sie sind zunehmend skeptisch traditionellen religiösen Werten gegenüber. Trotz Gewalt und Extremismus haben die meisten jungen Araber vernünftige moderne Ansichten, die denen im Westen ähneln. Sie hassen Tumulte, die ihre Länder zerstören und wünschen sich ein besseres, sichereres Leben. Erhoben wurden diese bemerkenswerten Ergebnisse vom PR-Unternehmen ASDA’A Burson-Marsteller und vom Meinungsumfrageinstitut Penn Schoen Berland, die die "Arab Youth Survey" seit 2008 durchführen.

In den persönlichen Interviews mit 3500 jungen Menschen aus 16 Staaten sagten 77 Prozent der Teilnehmer, dass sie besorgt über den Aufstieg des IS sind. Und 76 Prozent glauben, der IS werde sein Ziel, ein Kalifat zu etablieren, nicht erreichen. Gefragt, warum junge Leute sich zum IS hingezogen fühlen, nannten 24 Prozent die Arbeitslosigkeit als Grund. 25 Prozent wählten die Antwort: "Ich weiß es nicht - ich kann nicht verstehen, warum sich irgendjemand (dem IS) anschließen will." Junge Araber zweifeln zunehmend die Rolle der Religion und der traditionellen Werte an. Die Rechte von Frauen erhalten viel Unterstützung: 67 Prozent sagen, die Politiker sollten die Lage der Frauen verbessern. Auch die befragten jungen Männer teilen diese Ansicht, fast im gleichen Ausmaß wie die Frauen. Übrigens: Gleich viele Frauen und Männer wurden befragt.

In welchem Land würden die Befragten gern leben? Mit überwältigender Mehrheit lautete heuer, wie seit fünf Jahren, die Antwort: In den Vereinigten Arabischen Emiraten - einem muslimischen Staat, der sich an die moderne Welt anpasst, zunehmend offen ist, tolerant und wohlhabend. In den Interviews 2009 und 2010 sehnten sich mindestens 90 Prozent der Befragten nach Demokratie. Aber sie hielten noch immer an einer traditionellen Welt fest. Anfang 2011 sagten 83 Prozent der Befragten, dass traditionelle Werte ihnen viel bedeuten. 2014 waren es nur mehr 54 Prozent. Heuer stimmten bereits 52 Prozent zu, dass die Religion im Nahen Osten eine zu große Rolle spielt. Der Wirbelsturm des Aufstands, durch den Ägyptens Präsident Hosni Mubarak im Februar 2011 gestürzt wurde, spiegelt sich deutlich in den Interviews: Noch im Jänner 2011 hatten 83 Prozent der damals Befragten traditionelle Werte unterstützt. Gleich darauf fiel die Zustimmung um 11 Punkte. 20 Prozent hatten im Jänner 2011 ihre politischen Ansichten als liberal eingestuft, im Februar waren es bereits 51 Prozent. Fazit: Junge Araber wollen ein freieres moderneres Leben. Sie wissen, dass sie sich in einem langen Übergang befinden. Und sie sind pessimistischer geworden. Aber jedes Jahr bestätigen sie bei den Interviews: "Unsere besten Tage liegen vor uns."

Übersetzung: Hilde Weiss