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Die Selbstfesselung der Eurozone

Von Hermann Sileitsch

Analysen

Aus Sicht eines Investors liefern die Europäische Union und die Eurozone ein klägliches Bild ab: Seit Wochen gibt es kein Bekenntnis für (oder gegen) eine Unterstützung der schwer verschuldeten Problemländer wie Griechenland. Das Einzige, wozu sich die Verantwortlichen durchringen, sind Mahnungen von unterschiedlich scharfer Tonalität, wonach Griechenland und Co. ihre Schuldenkrise selbst meistern müssen.


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Diese Beteuerungen sollen in Panik geratene Investoren beruhigen, die Pleiteszenarien in allen Versionen durchkonjugieren? Deren Hysterie längst auf Länder wie Portugal und Spanien übergegriffen hat?

Jetzt müssen rasch neue Antworten her - womöglich schon auf dem EU-Sondergipfel am Donnerstag. Das System der "Frühwarnungen" und "Empfehlungen", das Beobachten, Berichten und Ermahnen wird auf Dauer nicht ausreichen.

Denn selbst für den Fall, dass Athen den Sparkurs innenpolitisch durchsetzen kann, werden sich Erfolge (wenn überhaupt) frühestens in einem halben Jahr einstellen. So lange sollen die Märkte mit Durchhalteparolen bei Laune gehalten werden?

"No-bailout"-Illusionen

Bisher wurden die Probleme der Eurozone durch ein günstiges Wirtschaftsumfeld maskiert. Die elf Jahre lange Erfolgsstory des Euro verschleierte aber das gefährliche Auseinanderdriften bei der Wettbewerbsfähigkeit. Zwar sind Spekulationen, wonach die Eurozone akut gefährdet sei, übertrieben - vor allem mangels Alternativen: Die Folgen wären für ein Land, das eine miserabel beleumundete Nationalwährung einführen müsste, dramatisch. Ein Euro-Austritt ist also kein Thema - ebenso wenig, dass Griechenland beim Währungsfonds (IWF) Hilfe suchen könnte: Das wäre eine Bankrotterklärung des Euro, der damit seinen Anspruch, eine Weltwährung zu sein, begraben müsste.

EU und Eurozone müssen sich dringend die Frage stellen, wie sie ihrer offensichtlichen Handlungsunfähigkeit entrinnen können. Die Gemeinschaft befindet sich in einer Selbstfesselung, die schon in Geburtsfehlern begründet liegt.

Was tun? Das starre Beharren auf den "Wachstums- und Stabilitätspakt" ist sinnlos. Jean-Claude Trichet, der Präsident der Europäischen Zentralbank, hat zwar recht, dass die Griechen all ihre Vorteile aus dem Euro-Beitritt bereits konsumiert haben. Nur sind auch die Budgetsünden bereits passiert - und die EU hat dabei tatenlos zugesehen. Die Drohung, Länder die von einem Bankrott bedroht sind, mit hohen Geldstrafen zur Räson zu bringen, ist ohnehin absurd.

Fakt ist: Derzeit haben die europäischen Institutionen die Disziplinierung von unverbesserlichen Budgetsündern auf den Markt ausgelagert. Einzig und allein die hohen Zinsen könnten womöglich verhindern, dass Länder ihre Schulden endlos refinanzieren.

Da es aber undenkbar ist, dass ein EU- und Eurozonen-Land seine Schulden nicht bedient, genießen die Mitgliedstaaten eine implizite Rettungsgarantie, ganz ähnlich den großen Banken.

Die berühmt-berüchtigte Klausel ("no bailout") des Maastricht-Vertrages, die Hilfsaktionen für strauchelnde Länder ausschließt (jetzt Artikel 125) und ein Zugeständnis an Währungs-Hardliner wie Deutschland war, widerspricht dem ganz und gar nicht: Sie ist faktisch wertlos. Im Ernstfall wird sie von einem anderen Passus (Artikel 122 (2)) ausgehebelt, der explizit finanziellen Beistand für ein Mitgliedsland vorsieht, das in Schwierigkeiten geraten ist. Ob dabei wirklich "außergewöhnliche Ereignisse, die sich seiner Kontrolle entziehen" gegeben waren, das lässt sich gegebenenfalls extensiv auslegen.

Ende der Autonomie

Der logische nächste Schritt der währungs- und wirtschaftspolitischen Integration wäre die Schaffung von Gemeinschaftsanleihen ("Euro-Bonds"). Damit könnten alle Länder - und nicht nur Deutschland - von der guten Bonität des gesamten Wirtschaftsraumes profitieren. Soll daraus aber nicht eine Abwärtsspirale entstehen, braucht die Union effektive Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Budgetsündern. Diese gibt es nur, wenn die Union notfalls direkt Einfluss auf die Steuer- und Budgetpolitik nehmen kann. Erst dann könnte ein Land tatsächlich "unter Kuratel gestellt" werden. Die Europäische Union müsste gewissermaßen wie der Währungsfonds agieren und den säumigen Staatenlenkern die Kürzungs- und Sparmaßnahmen diktieren.

Das würde Europa mit Sicherheit nicht beliebter machen - der Aufschrei wäre wohl groß, wenn die Nationalstaaten ein zentrales Element ihrer Souveränität aufgeben müssten. Langfristig führt daran aber wohl kein Weg vorbei.

Und, ganz ehrlich: Wer in Budgetfragen auf eine so lange Tradition des Tarnens und Täuschens zurückblickt wie die Griechen, hat in Wirklichkeit nichts anderes verdient.

analyse@wienerzeitung.at