Mit Aussagen, er sei für die Selbstverwaltung der Sozialversicherung oder "ich bin für einen starken Staat dort, wo es sein muss", überraschte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel zum Auftakt des ÖGB-Bundeskongresses die Delegierten und nahm so ihrer lautstarken und Kritik ein wenig den Wind aus den Segeln. Doch mit geschickten rhetorischen Wendungen schaffte es Schüssel, seine Rede - nur von kleinen Störmanövern irritiert - durchzubringen. Zu Begeisterungsstürmen riss dagegen Bundespräsident Thomas Klestil die ÖGB-Delegierten hin.
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Als die Delegierten Schüssels Besänftigung in Bezug auf die Sozialversicherung nur wenig Glauben schenken wollten, lenkte er gekonnt die Aufmerksamkeit auf seinen FP-Gegenpart Vizekanzler Herbert Haupt: "Dieser will aus den Sozialversicherungsträgern sicher keine Sektion des Sozialministeriums machen."
Im selben Atemzug jedoch verlangte der Bundeskanzler von den Sozialversicherungen, bei der Verwaltung weiter zu sparen. Es gebe zu wenige Zahler im Verhältnis zu den Leistungen. Direkt an die Funktionäre gewandt, meinte er: "18 verschiedene EDV-Systeme sind doch kein Wert an sich." Doch in diesem Punkt erntete er prompt Widerspruch vom Obmann der Oberösterreichischen Krankenkasse, Helmut Oberchristl: Man habe in diesem Sommer die EDV auf den neuesten Stand gebracht und untereinander vernetzt.
Lob vom Kanzler gab es für das Pensionsmodell des ÖGB: "Die Regierung wird dieses sehr ernst nehmen." Bis zum Ende des Jahres soll ein Konsens gefunden werden. "Keine kleinen Brötchen" will Schüssel auch bei der Standortpolitik backen. Auch hier lud er den ÖGB zur Zusammenarbeit ein. In Anspielung auf eine Senkung der Lohnnebenkosten und der Körperschaftssteuer meinte er: "Die Belastungen der Arbeit und Unternehmen sind eine zentrale Frage." Bei der Steuerreform plädiert er für einen niedrigeren Steuersatz.
Das zweite prägende Ereignis zum Auftakt des ÖGB-Kongresses war die Rede des Bundespräsidenten. Mit Aussagen, wie der ÖGB sei nicht der Hemmschuh der Wirtschaftspolitik, sondern ihr Gewissen, riss Klestil die anwesenden Delegierten zu wahren Begeisterungestürmen hin. ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch dankte dem Bundespräsidenten mit der Bemerkung, dieser habe sich mit seiner Rede "als Gewerkschafter" entpuppt.