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Die wichtigste Goldmedaille für das Gastgeberland wackelt schon nach zwei Partien - nach dem WM-Desaster 2014 droht der nächste Horror.
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Nichts gelernt aus der Geschichte? Wenn man die Beschwörungsformeln der brasilianischen Kicker unmittelbar vor und nun während des ziemlich verhagelten Olympia-Turniers hört, fühlt man sich zwangsläufig zwei Jahre zurückversetzt in die Tage der WM 2014 in Brasilien. "Wir werden alles tun, um dem brasilianischen Volk die Freude zurückzubringen. Wir haben die Verpflichtung zu gewinnen", erklärte etwa Superstar Neymar, noch bevor der erste Pfiff gefallen war. Zwei Nullnummern gegen Südafrika und Irak später geht nun in der Seleção die blanke Panik um. Denn heute wie damals geht es nicht bloß um die wichtigste sportliche Nebensache der Welt, sondern wenn es um Fußball und Brasilien in Brasilien geht, dann ist es immer eine nationale Angelegenheit monströsen Ausmaßes. "Wir sind den Menschen eine Entschuldigung schuldig. Es ist ein Augenblick der Trauer", meinte nun Trainer Rogerio Micale nach der 0:0-Blamage gegen Irak - und dreht damit das Hamsterrad, in dem sich die Kicker der Seleção eingeschlossen haben, flott weiter. Darin ebenfalls gefangen sind die Medien des 200-Millionen-Einwohner-Landes, die die mögliche nationale Tragödie erst so richtig heraufbeschwören. Das zweite Remis im Turnier sei "ein Straucheln von skandalösem Ausmaß" gewesen, schrieb "O Globo" und konstatierte: "Das verständliche Gefühl eines nationalen Notstandes ist der größte Gegner des brasilianischen Fußballs."
Wir erinnern uns mit Schrecken an die Psycho-Freak-Show, die die einstmaligen Zauberer vom Zuckerhut bei der Heim-WM aufgeführt haben - mit Tränen schon beim Abspielen der Hymne, mit Tränen vor und nach dem Elfmeterschießen. Ohne den verletzten Neymar platzte dann im Semifinale diese gigantische Blase, und der fünffache Weltmeister wurde unter der Last des Gewinnen-Müssens von Deutschland gedemütigt - 1:7. Dass man nun auch den einzig mit Neymar veredelten Nachwuchstalenten in Gelb-Blau dieses nationale Trauma umgehängt hat und somit bei Olympia auf Erlösung hofft, war der denkbar größte Fehler, den man machen konnte. Denn auf dem Papier ist die Olympia-Seleção natürlich mindestens zwei Klassen über die Auswahl Iraks zu stellen - doch wenn man Blei an den Füßen picken hat und noch dazu Taktik und Kreativität vermissen lässt, ist das Remis gegen den krassen Außenseiter aus dem kriegsgebeutelten Land nur allzu verständlich. Und besonders Neymar muss sich die Frage nach seiner professionellen Einstellung gefallen lassen, hatte er doch im Vorfeld bekundet, in Rio die Partys nicht zu kurz kommen lassen zu wollen. Olympia-Gold im Spaziergang - das wird es allerdings nicht spielen.
Denn nun braucht es am Mittwoch gegen Tabellenführer Dänemark schon einen Sieg, um fix das Viertelfinalticket zu lösen; ein drittes Remis könnte zu wenig sein, zumal ja - anders als zuletzt bei der EM - Gruppendritte nicht aufsteigen. Somit steigt der Druck vor dem Entscheidungsspiel ins Unermessliche. Apropos EM: Vielleicht nehmen die Brasilianer einmal Anleihen bei der europäischen Seleção, also Portugal. Deren Trainer Fernando Santos hat nach den beiden Auftakt-Remis in Frankreich Ruhe bewahrt und breitbeinig den Titel prophezeit. Und die nationale Freude wurde erst nach der Pokalübergabe besungen.