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"Die sind wie Vampire"

Von Veronika Eschbacher aus Kiew

Politik

Das Lager der Regimetreuen will den "Terroristen" am Maidan Paroli bieten.


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Kiew. Jedem Besucher Kiews wird - vor allem bei herrlichem Sonnenschein wie am gestrigen Mittwoch - angeraten, zu Fuß vom Unabhängigkeitsplatz im Zentrum einen Spazierweg hinauf in den Marienpark zu machen, vorbei an einem Aussichtspunkt, von dem man einen Gutteil der ukrainischen Hauptstadt samt Dnepr überblicken kann. Es sind gute eineinhalb Kilometer, die die zwei Orte trennen. Heute aber ist es viel mehr. Während unten am Maidan Anti-Regierungs-Demonstranten das Gebiet besetzt halten, vereinnahmen den Park oben die sogenannten Anti-Maidaner - die Ukrainer, die sich demonstrativ auf die Seite des Präsidenten Wiktor Janukowitsch stellen.

Der Weg, den üblicherweise am Wochenende viele Familien nutzen, um mit ihren Kindern spazieren zu gehen und der über eine Brücke führt, an der Verliebte Schlösser mit ihren Namen und aufgemalten Herzen festmachen, ist heute nicht mehr passierbar. Er wurde mit Eisenplatten verbarrikadiert. Wer heute in den Marienpark will, muss einen großen Umweg machen. Auch viele Seitenstraßen, die hinführen, sind mit Militär-Lkws blockiert und werden von Polizisten bewacht, die genau kontrollieren, wer passiert. Nicht zuletzt, weil auch das ukrainische Parlament - die Werhowna Rada - direkt neben dem Marienpark liegt.

Die Anti-Maidaner, die neuen Nachbarn der Abgeordneten, werden im Gegensatz zu den Demonstranten unten praktisch sorgenfrei beobachtet. Das kann man nicht zuletzt daran ablesen, dass direkt auf der Seite des Camps - es nimmt gut die Hälfte des Marienparks ein - lediglich ein rot-weißes Plastikband gespannt wurde, um die Pro-Regierungs-Demonstranten vom Parlamentsgebäude fernzuhalten. Da verwundert es Besucher auch nicht mehr, dass man bei dem von zahlreichen Männern bewachten Eingang auf das Pro-Janukowitsch-Gelände ohne Zugangserlaubnis keinen Eintritt erhält. Den Passierschein erhält man - unter nicht näher definierten Voraussetzungen - beim Organisationsstab. Alles zum Schutz der Menschen, die sich hier befinden, wird erklärt.

"Rechtschaffen, friedlich"

"Heute sind mehr als 3000 Leute hier", erzählt Sascha, der der Jugendorganisation der Partei der Regionen angehört, während er zwischen den Zelten, vorbei an einem dampfenden Eisenwagen, der als Teeausgabe dient, in Richtung Bühne läuft. Gestern wären es noch 30.000 gewesen, aber heute seien nur Anhänger der Regierung aus Kiew und Umgebung hier, niemand aus den Regionen des Landes, die sonst praktisch täglich in Bussen anreisen würden, um den Präsidenten zu unterstützen. "Wir haben wirklich viele Anfragen, müssen ihnen jedoch absagen", sagt er, weil man das momentan logistisch nicht schaffe. Und kalt sei es ja auch, man müsse die Menschen ja nicht frieren lassen.

Zudem ziehe der Anti-Maidan viele Ukrainer aus dem Osten des Landes an - und da sich dort die gesamte Industrie, Bergwerke und andere Fabriken befinden, könnten diese nicht einfach zu jeder beliebigen Zeit herkommen - sie müssten arbeiten. "Im Westen sind alle arbeitslos, die haben Zeit", sagt er in Anspielung auf die Demonstranten am Maidan, von denen viele aus den ukrainischsprachigen Gebieten kommen. Mikhail, der sich gerade in der Küchenzeile unter freiem Himmel nach langem Schlangestehen seine Ration an heißer Wurst, Schwarzbrot und Buchweizenbrei geholt hat, schießt da schon ein weniger schärfer. "Das sind doch alle Terroristen, unten am Maidan", und schüttelt den Kopf, bevor er sich einen Platz an einem der mit Müllsäcken umwickelten Biertische in der Sonne sucht, um seinen Plastikteller abzustellen.

Die von den "Terroristen" seit nun mehreren Wochen bekämpfte politische Führung des Landes wird hier hochgehalten. Pensionistin Raisa schätzt an ihrem Präsidenten, dass er "rechtschaffen, gut und friedliebend" sei. Sascha schlägt in die gleiche Kerbe. "Wenn er wollte, könnte er den Maidan in fünf Stunden räumen lassen und beenden, aber Janukowitsch liebt Frieden", weswegen er den Demonstranten Zugeständnisse bei all ihren Forderungen gemacht habe. Erst tags zuvor war der Premier des Landes zurückgetreten. Das erregt Raisa. "Mykola Azarow hat dieses Land aus den Ruinen gehoben und wirtschaftlich auf die Beine gestellt", sagt sie. Dass er zurücktreten musste, sei "einfach nur bitter".

Noch keine Zusammenstöße

Geht es um die Opposition, klatscht man sich hier nur auf die Stirn. "Politisch impotent", ist das Urteil. Wladimir Klitschko sei Sportler, kein Politiker, und Arsenij Jazenjuk könne man nicht mehr ernst nehmen, da er sich nur beschwere, aber dann das Amt des Premiers, das ihm Janukowitsch angeboten hatte, abgelehnt hat.

Bisher gab es keine offenen Zusammenstöße zwischen den beiden Lagern. Wie lange, bleibt abzuwarten. "Sie sind wie Vampire", sagt Galina, die für die Campverwaltung tätig ist. Sobald es dunkel wird, würden Demonstranten vom Maidan heraufkommen und über die Absperrungen mit den Janukowitsch-Anhängern sprechen und versuchen, sie zu provozieren. Einzelne Besucher des Pro-Regierungs-Camps wären auch auf ihrem Nachhauseweg überfallen und verprügelt worden. "All das schafft nur noch tiefere Risse zwischen den Ukrainern im Westen und im Osten", sagt Galina. Und nähre den Boden für einen Bürgerkrieg. Und Janukowitsch? "Der Präsident tritt nicht zurück", ist sie überzeugt. Er habe noch viel Unterstützung. "30.000 Menschen am Maidan können nicht für 46 Millionen Ukrainer entscheiden". Sie seien "Anarchisten", und wenn Galina könnte, würde sie ihnen selbst mit einem Holzstock auf den Kopf schlagen, damit diese endlich zur Vernunft kommen.