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"Viele Menschen werden das, was heute passiert ist, als der Fantasie entsprungen, als Szene eines Science-Fiction-Films empfinden." Diese Worte des Übersetzers von Kim Jong-un wurden von den Mikrofonen der Journalisten beim Treffen des nordkoreanischen Machthabers mit US-Präsident Donald Trump im Capella-Hotel in Singapur aufgeschnappt.
Kim ist der Sohn des fanatischen Filmfans Kim Jong-il und der Tänzerin und Schauspielerin Ko Yong-hi. Kim Junior hat offenbar ebenfalls ein Herz fürs Showbusiness: Seine Ehefrau Ri Sol-ju soll vor ihrem Job als First Lady Sängerin gewesen sein. Trumps Frau Melania ist Ex-Model, so wie seine Ex-Frau Ivana. Der heutige US-Präsident wurde in den USA landesweit vor allem als Reality-TV-Star in der Serie "The Apprentice" und als streitbarer Wrestling-Funktionär bekannt. Trump spielte stets das unstillbare Verlangen seiner Fans nach Entertainment in die Hände. Das "starke, langsame Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich", das Politik im Sinne Max Webers darstellt, ist seine Sache nicht - und auch nicht die seiner Anhänger. Was zählt, ist der Schein, nicht das Sein.
Trump kümmert es wenig, dass er Kim Legitimität, Sicherheitsgarantien und die Aussetzung der gemeinsamen Manöver mit Südkorea für eine sehr vage Bekräftigung des - übrigens von Nordkorea seit 1992 immer wieder artikulierten - Denuklearisierungsversprechen gegeben hat. Und es stört ihn wohl auch nicht im Geringsten, dass er viel weniger vorweisen kann als das 1994 von der Clinton-Administration ausgehandelte "Agreed Framework", in dem sich Nordkorea verpflichtete, die Plutoniumproduktion komplett zu stoppen.
Im jetzigen Verhandlungsergebnis sucht man Details über ein Einfrieren des Plutonium- oder Uranprogramms vergebens, man findet nichts über die Zerstörung von Interkontinentalraketen. Man vermisst einen Zeitplan ebenso wie eine Erklärung zu einem Atomwaffen- oder Langstrecken-Raketenteststopp oder Atomwaffeninspektoren.
Ob der Singapur-Show nun auch gute Taten folgen? Für Europa und Kanada bleibt der schale Nachgeschmack, auf dem G7-Gipfel von La Malbaie als Komparsen von Trumps einschüchternder Verhandlungstaktik gegenüber Kim vor dem Treffen missbraucht worden zu sein: Wie muss Kanadas Premier Justin Trudeau sich fühlen, den Trump als "unehrlich" und "schwach" bezeichnete, während er Kim einen "sehr talentierten Mann" nannte, der "sein Land sehr liebt"? Immerhin: Dass beide Seiten einander gegenseitig schmeicheln, anstatt mit Nuklearkrieg zu drohen, ist eine gute Sache für die Welt. In diesem Sinne ist zu hoffen, dass die Singapur-Show weitergeht.