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Die sinnvolle Stadt

Von Teresa Reiter

Politik
"Das Thema Stadt der Zukunft ist ein zu wichtiges, um es allein Ingenieuren zu überlassen."
© Reiter

Der italienische Architekt und Stadtforscher Carlo Ratti über die soziale Bedeutung sogenannter Smart Cities.


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"Wiener Zeitung": Es kursieren viele Definitionen von Smart City. Wie lautet Ihre?Carlo Ratti: Technologische Errungenschaften haben unser Leben in den letzten 20 Jahren nachhaltig geprägt. Von alltäglichen Dingen, bis hin zur Raumfahrt. Bei der sogenannten Smart City geht es darum, dass Technologien in den städtischen Raum eintreten. Der Begriff Smart City ist nicht der beste. Ich würde eher von einer "Senseable City" sprechen. Der Fokus sollte nicht bei der Technologie liegen, sondern bei den Menschen. Es geht darum, effizienter zu werden und Technologie dazu zu verwenden, das Leben der Menschen zu verbessern.

Es gibt demografische Schätzungen, die davon ausgehen, dass im Jahr 2050 sieben von zehn Menschen auf der Welt in Städten leben werden. Ist die Smart City nur ein panischer Versuch, mit diesen Menschenmassen fertigzuwerden?

Diese Zahlen betreffen vor allem Entwicklungsländer, in Industrieländern haben wir diese Zahlen längst erreicht. Aber ja, dieses extreme Wachstum der Städte wird viel verändern. China allein wird wahrscheinlich im 21. Jahrhundert mehr städtische Bauten erschaffen als die gesamte Menschheit bis zum heutigen Tag. Städte machen zwar nur 2 Prozent der Fläche auf diesem Planeten aus, jedoch leben mehr als 50 Prozent der Menschen dort, 57 Prozent der Energie wird dort konsumiert und 80 Prozent der CO2-Emissionen kommt aus Städten. Diese Zahlen sind wichtig, um die Bedeutung von urbanen Räumen zu verstehen.

Sie haben Entwicklungsländer erwähnt. Ist es nicht überaus optimistisch, von Smart Cities für die Dritte Welt zu sprechen, wenn es vielen dieser Länder an der grundlegendsten Infrastruktur wie etwa Elektrizität oder asphaltierten Straßen fehlt?

Ich war gerade in Schwellenländern in Afrika und Südamerika unterwegs. Sie wären überrascht davon, wie viele Menschen selbst in sehr armen Regionen, wo es nicht einmal fließendes Wasser gibt, ein Handy haben. Wenn man sich Mobilfunkdienste oder mobiles Banking in Afrika ansieht, dann sind diese oft sehr viel weiter entwickelt als in Europa, denn zur nächsten Bank ist es weit und die Straße ist nicht asphaltiert, aber jeder hat ein Mobiltelefon.

In Sri Lanka gibt es einen eigenen Dienst, der es Fischern erlaubt, auf ihrem Mobiltelefon in Echtzeit die Preise auf dem Fischmarkt zu verfolgen. Die Art wie Technologie das Leben verbessert, muss nicht besonders kompliziert sein.

Architektur spielt bei Smart Cities eine große Rolle. In der Vergangenheit waren billige Wohnungen und Sozialwohnungen meist in Plattenbauten untergebracht, die sehr isolierend sind und mit einem gewissen sozialen Stigma behaftet. Ist das Konzept der Smart Cities eine Chance, die Gesellschaft gerechter zu machen?

Technologie allein wird die Gesellschaft nicht mehr oder weniger gerecht machen. Die Entscheidung muss von uns kommen. Natürlich denke ich, dass man alle technischen Mittel, die uns zur Verfügung stehen, nutzen muss, um für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. An neuen Kommunikationstechnologien und Vernetzungsmöglichkeiten über das Internet kann man beobachten, dass solche Entwicklungen einen Einfluss auf gesellschaftliche Hierarchien haben. Beim Wohnungsbau selbst gibt es einige interessante Faktoren. Es gibt einen riesigen Plattenbau in der Nähe von Rom, der ein perfektes Beispiel für Top-down-Planung ist. Es gibt ein Gerücht, dass der Architekt sich am Tag der Eröffnung das Leben genommen hat, weil diese Art von Planung ein totaler Fehlschlag war. Der Bau ist hässlich und niemand wollte dort leben. Das Gebäude wurde schnell ein Magnet für Verbrechen.

Was ist falsch an dieser Art der Planung?

Es war nur ein Architekt, der einen Lebensraum für extrem viele Menschen entwarf, ohne ihre Bedürfnisse zu kennen. Ich glaube, die richtige Technologie würde es den Leuten erlauben, sich den Platz, an dem sie leben wollen, selbst zu erschaffen. Es ist die Aufgabe von Politikern, den Menschen die Mittel zu geben, sich selbst zu helfen.

Können Sie ein Gegenbeispiel nennen?

Ein Gegenbeispiel ist etwa die Art, wie brasilianische Armutsviertel oder Favelas wachsen. Diese Art von Stadtplanung dreht sich nicht um eine große Regierungsoffensive, sondern um eine bessere Arbeitsteilung und Mitgestaltungsmöglichkeiten für die Bewohner. Gerade bei Favelas ist es so, dass sehr viele Menschen jeweils ein kleines Stück davon gestalten. Jedoch mangelt es den meisten von ihnen an Wissen und Qualifikation, etwas wirklich Gutes zu bauen. Die wahre Herausforderung ist es, den Menschen das Wissen zu vermitteln, das sie brauchen, um ihre Wohnsituation zu verbessern. Wenn sie das einmal haben, dann ist es leichter, eine schlecht gebaute Favela zu verbessern, als sie abzureißen und einen Wolkenkratzer zu bauen, den niemand will.

Wenn wir über Smart Cities sprechen, klingt es oft, als wären durch dieses Konzept alle sozialen Probleme wie von Zauberhand gelöst. Wird in der Debatte darüber zu wenig über die Rolle gesprochen, die Politik für die Zukunft des urbanen Wohnens spielt?

Absolut. Das Thema Stadt der Zukunft ist ein zu wichtiges, um es allein den Ingenieuren zu überlassen. Eigentlich ist die Transformation unserer Lebensräume in erster Linie eine politische Frage. Generell sollten alle Bewohner dabei mitreden, wie sie leben möchten. Die Technologie ist dabei nur ein Werkzeug.

Carlo Ratti ist Architekt und Direktor des Senseable City Laboratory am Massachusetts Institute of Technology (MIT).