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Die Sintflut der Kulturverarmung

Von Edwin Baumgartner

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In Genf badet man besser keine Kinder. Sie laufen Gefahr, mit dem Bad ausgeschüttet zu werden. Oder im konkreten Fall mit der ganzen Sintflut. Denn die Genfer Bildungsbehörde stoppte das Projekt des Genfer Kammerorchesters, Benjamin Brittens Kinderoper "Noye’s Fludde" aufzuführen: Kinder dürfen nicht mitwirken, denn das Werk sei nicht "religionsneutral".

Dabei schrieb Britten sein Werk ohne bigotte Tendenz: Er wollte Kindern und Amateurmusikern ein buntes Spektakel an die Hand geben. So wird das Werk weltweit begriffen. Zumal die Flutgeschichte ein mythisches Menschheitserbe ist und nicht an eine einzige Religion gebunden.

Aber die Laizität beugt sich zunehmend, nicht nur in der Schweiz, einem missionarischen Atheismus. Dessen Anhänger verstehen nicht, dass man sich mit einer Sache auseinandersetzen kann, ohne ihr anzuhängen. Konkret: Wie man Marx’ "Kapital" lesen kann, ohne Kommunist zu sein, und Hitlers "Mein Kampf" lesen kann, ohne Nationalsozialist zu sein, kann man mühelos die Bibel ohne Verlust der atheistischen Überzeugung und noch müheloser Richard Dawkins ohne Verlust des Glaubens lesen.

Das Problem mit der Entfernung und Unterdrückung alles Religiösen ist nur, dass jede Kultur auf religiösen Vorstellungen gegründet ist, ob nun auf heidnischen, jüdischen, christlichen, buddhistischen, islamischen - ganz egal. Die Verwandtschaft der Wörter "Kult" und "Kultur" ist kein Zufall. Unter diesem Aspekt entstandene Kunst mit einer pseudo-laizistischen Flut aus dem Bewusstsein zu spülen, ist nicht Religionsneutralität. Es ist Kulturzerstörung.