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Die Sklaverei, der Brexit und das Virus

Von Melanie Sully

Gastkommentare
Melanie Sully ist britische Politologin und Direktorin des in Wien ansässigen Instituts für Go-Governance. Sie hat unter anderem als Konsulentin für die OSZE und den Europarat in Straßburg gearbeitet und ist Mitglied des Royal Institute of International Affairs in London.
© Weingartner

Zu lange wurden in Großbritannien die Hilferufe einer verlorenen Generation von Migranten überhört.


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Im Zweiten Weltkrieg wurde die englische Stadt Bristol von der nazideutschen Luftwaffe bei sechs großen Angriffen bombardiert. Historische Denkmäler und Kirchen wurden im Blitzkrieg zerstört. Nach dem Krieg fanden Migranten aus der Karibik wiederaufgebaute Wohnungen in Vierteln vor, die Slums glichen. In Pubs und Geschäften sah man oft Schilder mit der Aufschrift "No Blacks, no dogs, no Irish". Die Schwarzen, oft als "Niggers" beschimpft oder verniedlichend "Darkies" genannt, durften nicht einmal als Busfahrer arbeiten. Erst in den 1960er Jahren bekamen sie nach Protesten erstmals eine Chance auf Jobs bei den öffentlichen Verkehrsmitteln.

Gesetze können Diskriminierung nicht aus der Welt schaffen. In Bristol brachen regelmäßig Unruhen aus, meist nach Krawallen mit der Polizei. Das Imperium schlug zurück - ironischerweise, als die Nachfahren der karibischen Sklaven in der Hafenstadt Bristol ein neues Zuhause suchten. In einer Stadt, in der wohlhabende Sklavenhändler einst für Reichtum gesorgt hatten. Leute wie Edward Colston (1636 bis 1721) förderten Schulen und Krankenhäuser und wurden als Philanthropen geehrt. Dabei hat man die dunkle Seite der Geschichte übersehen.

Eine Statue von Colston wurde nun infolge der "Black Lives Matter"-Demonstration ins Hafenbecken von Bristol geworfen. Lange hatte man versucht, die Statue anderswo aufzustellen, mit einem Hinweis auf die Sklaverei. Aber nicht einmal der Bristoler Bürgermeister Marvin Rees, dessen Vater aus Jamaika stammt, konnte hier etwas bewegen. Als "schwarzer Bürgermeister" wollte er vielleicht "die Weißen" nicht provozieren.

Viele verurteilen nun den Gewaltakt als Vandalismus, der auf Kosten der Steuerzahler wiedergutgemacht werden müsse. Sie könnten in eher rechtsradikalen Bewegungen Trost finden. Zu lange aber wurden die Hilferufe einer verlorenen Generation von Migranten überhört, wie nun das Beispiel Bristol zeigt. Der Brexit war auch ein Schrei von Leuten, die sich hilflos gefühlt haben. Ohne Ventil für den Frust kommt es irgendwann zur Protestaktionen, die dann nicht immer friedlich ablaufen.

Die Beliebtheit von Premier Boris Johnson ist im freien Fall. Die Brexit-Verhandlungen mit der EU gehen nicht weiter, die aktuelle Wirtschaftskrise ist die schlimmste seit 300 Jahren, und das Coronavirus könnte sich in einer zweiten und sogar einer dritten Welle melden. Studien zeigen, dass es Menschen mit Migrationshintergrund viel härter trifft.

Mehr Gesundheitspersonal, mehr Polizei auf den Straßen - wie soll das finanziert werden? Wo ist der Kitt, um das gespaltene Land wieder zu einen? Struktureller Rassismus ist auch ein Problem bei der oppositionellen Labour-Partei. Deren neuer Chef, ein wohlhabender weißer Anwalt, muss schnell einen Draht zu den ethnischen Minderheiten finden. Labour muss Rassismus und Antisemitismus in den eigenen Reihen bekämpfen.

Großbritannien kommt nicht zur Ruhe, weder politisch noch wirtschaftlich. Rassismus und Brexit haben eine lange Geschichte und haben sich nun zu einem gefährlichen Cocktail vermischt.