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Die Sorge vor dem zweiten Absturz

Von Konstanze Walther

Wirtschaft

Finanzprofessor Otte: "Bestenfalls steuern wir auf eine Stagflation zu." | Trotz der Konjunkturmaßnahmen ist die Wirtschaft noch nicht über dem Berg. | Wien. Die Nachrichten aus der spanischen Bankenszene ließen am Pfingstmontag den Finanzmarkt erodieren. Auch am Dienstag drehte sich die Spirale nach unten. Die europäische Gemeinschaftswährung verlor erneut. Die Börsen geraten einmal mehr unter Druck. | Schieflage: Von den Sparkassen droht Spaniens Bankensektor große Gefahr | Analyse: Der Euro ist immer noch ein Erfolg - und die Krise keine Währungskrise


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Und das, obwohl es sich um einen verhältnismäßig kleinen Geldbetrag handelt, mit dem die spanische Zentralbank eine marode Sparkasse stützen muss (die "Wiener Zeitung" berichtete).

Die Nervosität ist übergroß: Was, wenn das nur die Spitze des Eisbergs ist? Ist Spanien das zweite Griechenland? Wie viel Geld können die Regierungen noch erübrigen? Der Einbruch auf den Märkten erfolgt zu einem Zeitpunkt, an dem die Regierungen mit Konjunkturmaßnahmen und Rettungspaketen die Wirtschaft eben erst mühsam zum Atmen gebracht haben. Die Daten aus der Realwirtschaft sind gut - viele Unternehmen melden gute Ergebnisse, übertreffen die Erwartungen. Und mit der Eindämmung von Börsespekulationen und dem Rettungsschirm für europäische Pleitekandidaten hat Europa auch den Finanzmärkten das Bett glatt gestrichen.

Noch fünf Jahre Leiden

Dennoch geht es mit den Aktien und dem Eurokurs vorerst weiter bergab. Droht gar eine zweite Rezession?

Die Märkte "benehmen sich wie ein Patient mit Schüttelfrost", sagt Max Otte im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Der Wormser Wirtschaftsprofessor, der auch als Hedgefondsmanager arbeitet, veröffentlichte 2006 mit dem Buch "Der Crash kommt" eine genaue Prognose dessen, was 2008 über die Weltwirtschaft hereingebrochen ist. Das momentane Ausschlagen an den Märkten ist seines Erachtens ein Ausdruck der Verunsicherung, das Erstarken des Dollars bezeichnet er als "völlig widersinnig". Der USA gehe es wirtschaftlich viel schlechter als der Eurozone. In Washington hat man schließlich neben den Auswirkungen der Immobilienkrise noch mit einer höheren Staatsschuld als in der Eurozone zu kämpfen, zudem steigt das US-Defizit beständig. "Langfristig gibt es für den Dollar nur eine Richtung - und die geht nach unten."

Abseits der kurzfristigen Marktbewegungen malt Otte allerdings ein düsteres Bild. Er ist sich sicher, dass die Weltwirtschaft noch bis zu fünf Jahre an den Auswirkungen der Krise leiden wird. Nach kurzen Aufwärtsbewegungen wie zum Jahreswechsel folgt der neuerliche Absturz. "Ein double dip ist nicht ausgeschlossen. Auch ein triple dip ist möglich" - je nachdem, wie stark sich Asien erholt und die Weltwirtschaft ankurbelt. Durch die bisherigen Rettungsmaßnahmen wurde zwar laut Otte der "deflationäre Kollaps" fürs Erste vermieden, dieser sei "aber noch nicht vom Tisch". Gemeint ist damit eine Spirale von sinkender Nachfrage und verstärkter Sparneigung: Die Produktionskapazitäten werden nicht ausgelastet, es kommt zu hoher Arbeitslosigkeit, die Preise gehen hinunter - die Wirtschaftspolitik kann in diesem Fall kaum einlenken.

Ein Ausweg wäre laut Otte nur, noch mehr Schulden zu machen - bis die Länder in die Inflation sinken, das Geld also entwertet wird. Hier kritisiert Otte auch die momentanen Sparpläne der europäischen Regierungen, die teilweise vom Internationalen Währungsfonds auch empfohlen werden. "Diese Sparmaßnahmen kommen zu früh. Es ist, als ob wir mit der linken Hand etwas ankurbeln und mit der rechten Hand wieder drosseln. Wenn man sich schon entschlossen hat, den Koffer der Staatsschulden aufzumachen, dann sollte man das ganz tun."

Staatsschulden:Ganz oder gar nicht

An eine schnelle Erholung (ein "V"-Szenario, das zuletzt nicht sehr oft prognostiziert wurde) glaubt Otte nicht: Wachstum und Sparen würden dafür nicht reichen. "Bestenfalls haben wir ein Stagflations-Szenario wie in den 70er Jahren." Das bedeutet stagnierende Konjunktur bei hoher Inflation.

Um die Geldpolitik macht sich Otte keine Sorgen. Der Leitzins der Europäischen Zentralbank ist als Krisenmaßnahme noch immer auf einem historisch niedrigen Niveau. Die Zuspitzung hat die Ausstiegsstrategie der EZB aus ihrer Niedrigzinspolitik bisher unterbunden. Damit können sich die Banken weiter billiges Geld holen. "Der Niedrigzins ist eine politische Entscheidung. Der kann da noch ganz lange bleiben."

Auch UniCredit-Chefökonom Michael Rottmann geht davon aus, dass die EZB frühestens im vierten Quartal 2011 ihre Zinsen nach oben schraubt.

Wissen: Nervöse Märkte

(hes) Fallende Börsen und sinkende Euro-Kurse sind nicht die einzigen Warnsignale. Einige Indikatoren für nervöse Investoren, die nach der Lehman-Pleite im September 2008 massiv ausschlugen, zeigen jetzt (in geringerem Maßstab) ähnliche Reaktionen. Der Volatilitätsindex (ViX) der Chicago Board Options Exchange ist so eine Art Fieberkurve: Er bildet die erwarteten Preisschwankungen ab und modelliert die Nervosität der Anleger.

Seinen Höchstwert erreichte der ViX (der jahrelang zwischen 10 und 20 Punkten grundelte) nach der Lehman-Pleite, als er über 80 Punkte schoss. In den letzten Tagen kletterte er wieder über 45 Punkte - nachdem er Mitte April schon auf 15 gefallen war.

Besorgniserregend ist auch das Interbankengeschäft: Wenn die Banken einander nicht vertrauen, erwarten sie für kurzfristig geborgtes Geld exorbitante Zinsen. Zwar sind Post-Lehman-Rekorde weit außer Reichweite; Richtzinswerte wie Libor oder Euribor haben aber seit Anfang Mai (bei unverändertem Leitzins) deutlich angezogen.

Scheuen Anleger Risiken, flüchten sie in sichere Häfen: Deutsche Staatsanleihen notieren jetzt ebenso fester wie US-Staatsanleihen ("Treasuries") - eine womöglich trügerische Sicherheit.

Gold gilt traditionell als Krisenwährung: Der Kurs stieg am Dienstag auf 1199 Dollar pro Feinunze. Das bisherige Allzeithoch: 1249 Dollar am 14. Mai.