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Die Sorgenfalten der Lady Justice

Von Anja Melzer

Recht
Justitia ist weiblich, doch den modernen Anwältinnen hilft das wenig.
© fotolia/Gina Sanders

Nur 20 Prozent der Rechtsanwälte sind Frauen, während sie im Jusstudium noch die Hälfte ausmachen. Ein Blick in die Geschichte bietet Erklärungsansätze - und die eine oder andere Heldinnensage.


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Wien. Ein bisschen kurios sieht sie ja schon aus, in ihrem bodenlangen Kleid, dem Schwert in der einen und der mobilen Waage in der anderen Hand. "Ich schone niemanden", soll die Dame mit der Augenbinde einmal gesagt haben. Vermutlich sollte man sich lieber nicht mit ihr anlegen. Manchmal trifft man sie im Gericht, manchmal steht sie auf öffentlichen Plätzen herum. Sie firmiert international unter "Lady Justice". Oder auch: Justitia, die göttliche Personifikation der Gerechtigkeit. Ob sie einst zu Stein erstarrte, als sie einen Blick in die Geschlechterverhältnisse ihrer Zunft warf?

In Österreich sind derzeit etwa 6000 Rechtsanwälte gemeldet. Davon waren zuletzt lediglich 1242 weiblich - weniger als zwanzig Prozent. Blickt man nach Frankreich, so zeigen sich dort ganz andere Verhältnisse. 2012 gab es in Paris mehr eingetragene Anwältinnen als Anwälte. Die österreichische Statistik schockiert nicht nur, sie verwundert auch: Denn bei den Rechtsanwaltsanwärtern und -anwärterinnen hält sich das Geschlechterverhältnis fast exakt die Waage. Wie kann das sein? Offenbar kommen dem Rechtsanwaltsberuf in oder nach der Ausbildung die Frauen abhanden.

Erst im Oktober erschien wieder der jährliche Global Gender Gap Report des Economic Forums, der die Gleichstellung der Geschlechter von knapp 150 Nationen dieser Welt misst. Für Österreich sieht es nicht gut aus. Das Land ist weiter abgerutscht und liegt im Nationenranking inzwischen auf Platz 52 - zwischen Kasachstan und Tansania. Oder um es anders zu sagen: Im westeuropäischen Vergleich ist das - mit Ausnahme Griechenlands - der allerschlechteste Score. Und die Anwältinnen sind offenbar ein plakatives Symptom. Deutschland belegt in diesem Ranking immerhin Platz 13, die Top3-Länder glänzen aus dem Norden: Island, Finnland und Norwegen.

In Österreichs Westen beschäftigt man sich schon länger mit der Frage, warum sich nach der Anwaltsausbildung so viele Frauen abwenden. "Wir kennen die genauen Ursachen nicht, weshalb derart viele aussteigen, aber die Vereinbarkeit von Familie und Anwaltsberuf scheint tatsächlich sehr schwierig zu sein", so der Sprecher der Tiroler Anwaltskammer Johannes Lentner. Vor drei Jahren rief man das Projekt "Anwältin und Mutter" ins Leben. Dabei geht es darum, Anwältinnen in der Zeit nach der Geburt durch Kollegen zu unterstützen, zum Beispiel in Form von Vertretungen bei Verhandlungen.

Nur ein paar Meter weiter, im Herzen Innsbrucks, sitzt Marlene Wachter am Schreibtisch einer Wirtschaftskanzlei. Die Anwältin kennt die Problematik. Während sie spricht, wird ihr Baby von der Oma betreut. "Als Anwältin ein Kind zu bekommen, ist eigentlich nur möglich, wenn man ein entsprechendes verständnisvolles Umfeld hat, in eine gute Kanzleigemeinschaft eingebettet ist und Möglichkeiten wie Home-Office umsetzbar sind", sagt sie. "Es steht und fällt mit der Kanzleipartnerschaft, die das mitträgt - nicht nur wirtschaftlich, sondern auch organisatorisch."

Auch das Fachgebiet sei zentral: Strafverteidigerinnen beispielsweise müssen öfter als andere Kolleginnen zu Gericht. Wachter selbst kennt nur wenige Anwältinnen, die zugleich Mütter sind, und so manche ihrer Weggenossinnen aus dem Studium hat sich inzwischen umorientiert - in den Richterdienst zum Beispiel.

Mehr Richterinnen und Staatsanwältinnen

Denn bei Richterinnen und Staatsanwältinnen zeigt sich ein völlig anderes Bild: Hier sind bereits mehr als die Hälfte Frauen. Die Chance also, dass eine Frau in Österreich die Strafverfolgung führt oder man vor Gericht einer solchen gegenübersteht, liegt heute bei fifty-fifty. Im öffentlichen Dienst locken nämlich Vorzüge und Sicherheiten, die Anwaltskanzleien Frauen selten bieten: fixe Gehaltstabellen, freiere Zeiteinteilung, Karenzoptionen, bessere Familienvereinbarkeit.

Will man den Frauen in der Vielfalt der Justizberufe nachspüren, muss man sich auf einen Streifzug durch die österreichische Rechtshistorie begeben. Denn das Verhältnis von Frauen und Rechtsausübung ist von Anfang an schwer belastet. Das Jusstudium ist eines der ältesten der Welt, die Geschichte der weiblichen Justiz zählt dagegen noch keine 100 Jahre. In einem Büchlein aus dem Jahr 1929 über die Darstellung des Anwaltsberufs findet sich ein Satz, der bereits damals den von Hindernissen bestückten Eintritt der Frauen ins Rechtswesen auf den Punkt bringt: Es sei ein "Leidensweg", heißt es da. Denn: "Kein Beruf musste von den Frauen so erkämpft werden wie dieser." Den Frauen wird die Kompetenz abgesprochen.

Erst 1897 öffnen die philosophischen Fakultäten Universitäten zum ersten Mal weiblichen Hörerinnen die Türen. Drei Jahre später ziehen die medizinischen Fakultäten nach. Nur eine will nichts davon wissen: die rechtswissenschaftliche Abteilung. Die Begründung lautet: Den Frauen fehle es an dem für die juristische Profession unerlässlichen logischen Denk- und Urteilsvermögen. Es vergehen fast zwanzig weitere Jahre, bis auch Frauen zum ersten Mal für Jus zugelassen werden.

Im September 1920 promoviert Helene Lieser als erste Frau an der Wiener Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät zum Doktor der Staatswissenschaften. Als Pionierin des klassischen Rechtsberufs gilt aber eine andere: Marianne Beth. Während sie als erste weibliche Rechtspraktikantin am Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen ihre erste Verhandlung als Schriftführerin absolviert, sitzt sogar der damalige Gerichtspräsident im Saal, um den geschichtsträchtigen Moment nicht zu verpassen. 1928 wird Marianne Beth als erste Frau in Österreich zur Anwaltschaft zugelassen. Und sie sollte auch die erste Englisch-Gerichtsdolmetscherin werden.

Als die wirtschaftliche Lage in den Dreißiger Jahren immer prekärer wird und so mancher Anwalt sein Büro notgedrungen ins Kaffeehaus verlegen muss, strömen trotzdem immer mehr Jusstudenten und -studentinnen in die Universitäten. Dies geht so weit, dass die Rechtsanwaltskammern "Sperrmaßnahmen zur Verhinderung der weiteren Überfüllung" einzuführen gedenken.

"Verweichlichung der Strafrechtspflege"

Die Standesablehnung gegen die Advokatinnen lässt nicht nach. Die Frau "stehe an Entschlussfähigkeit und der Kraft zu energischem Durchgreifen vielfach dem Manne zurück", argumentieren die Männer. Dies berge die "Gefahr einer Verweichlichung der Strafrechtspflege". Im August 1936 spricht sich Hitler sogar persönlich dagegen aus, dass Frauen den Richter- oder Anwaltsberuf ergreifen. Die Nationalsozialisten sehen im Aufstieg der Juristinnen einen "Einbruch in den altgeheiligten Grundsatz der Männlichkeit des Staates", wie ein deutscher Landgerichtsdirektor zitiert wird. Und dieses Mantra schwingt noch lange mit. Noch Anfang der Fünfziger sind in ganz Österreich nur 34 Rechtsanwältinnen tätig. Die erste weibliche Notarin wird überhaupt erst 1989 ernannt: Sylvia Mlynek aus der Donaustadt.

Richterinnen im deutschsprachigen Raum erzählen sich bis heute gerne eine Anekdote aus Hamburg, datiert auf 1968, dem Jahr der großen Studentenbewegungen. Der Vorsitzende der Pressekammer hatte öffentlich verlautbaren lassen, er werde keine Frauen als Richterinnen einstellen. Just soll ihm eine Dame einen Besuch abgestattet und gesagt haben: "Ich habe gehört, Sie möchten an Ihrer Kammer gern eine Frau haben. Ihnen kann geholfen werden!" Sie bekam den Job. Ihr Name: Lore Maria Peschel-Gutzeit. Sie sollte später erste Präsidentin eines Oberlandesgerichtssenats sowie Justizsenatorin werden, ist heute 84 Jahre alt und arbeitet noch immer sechs Tage pro Woche als Familienanwältin in Berlin. Die Kämpferin für Frauenrechte und Verfechterin der Frauenquote hat viele eindrucksvolle Geschichten in petto. In ihrer 2012 erschienenen Autobiographie erzählt sie, wie sich einmal ein Angeklagter widersetzte, mit ihr, der Richterin, zu sprechen. Sie verhängte erbarmungslose drei Tage Ordnungshaft wegen ungebührlichen Verhaltens - das wirkte.

"Frau Oberst" in den Strafanstalten

Die Annahme, dass die klischeeweibliche "weiche Seite" die juristische Kompetenz einer Frau untergrabe, wird mittlerweile auch von den Entwicklungen im Strafvollzug durchkreuzt. Schließlich galt der über Jahrzehnte als klare Männerdomäne - nicht nur, was die Insassen anbelangt, von denen 94 Prozent Männer sind. Es verschlägt vermehrt Frauen in die Strafanstalten, nicht in die Zellen, sondern in die Chefetagen. Acht der insgesamt 27 österreichischen Gefängnisse haben eine Leiterin, sprich dreißig Prozent aller Justizvollzugsanstalten dieser Republik liegen in den führenden Händen einer Frau - international betrachtet eine gute Quote. Ein merkwürdiges Kuriosum am Rande: Ihre Dienstgradtitel, wie beispielsweise "Oberst" oder "Leutnant", sind trotzdem männlich.

Marianne Beth, die Anwalts-Pionierin, muss übrigens 1938 in die USA emigrieren. Dort darf die Frau mit zwei Doktortiteln und Anwaltszulassung nicht mehr als Juristin arbeiten. 1984 stirbt sie, völlig verarmt, in einem amerikanischen Altersheim.

Justitia mit den steinernen Sorgenfalten darf trotzdem hoffen. Denn eine statistische Konstante ist trotz aller Ziffernkluften geblieben: Die Angeklagten in den Gerichtssälen sind noch immer zu 90 Prozent Männer. Unsanft heruntergebrochen heißt das für die Zukunft vielleicht: Die Frauen sitzen auf der Richterbank - die Männer im Häfn.