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Wäre an diesem Sonntag nicht SPD-Parteitag, sondern Bundestagswahl, würde Schwarz-Gelb mit rund 50 Prozent die absolute Mehrheit stellen und die derzeitige große Koalition durch eine bürgerliche aus Union und FDP ablösen. Dies zu verhindern, dafür bleiben Frank-Walter Steinmeier, Vizekanzler, Außenminister und Spitzenkandidat der SPD nur noch knapp hundert Tage. | Der Kraftakt, den Steinmeier in dieser Zeit leisten muss, gleicht dem eines Stabhochspringers mit Betonschuhen, der sich auf einen morschen Ast stützt. Die Betonschuhe sind Steinmeiers eigene politische Vergangenheit, gilt er doch als der Koordinator der ungeliebten Schröderschen Hartz-IV-Gesetze, die von der Linken als "neoliberal" angegriffen werden.
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Beton ist auch sein rhetorisches Temperament, das einem Diplomaten zu Gesicht stünde, nicht aber einem Volkstribun. Beton sind die Wahlschlappe in Hessen, die Niederlage der SPD-Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten, das Desaster bei den Europawahlen mit dem historischen Allzeittief für die SPD und die konstant miserablen Umfragewerte. Beton ist seine Einbindung in die Koalitionsdisziplin.
Der morsche Sprungstab, auf den sich Steinmeier stützen sollte, ist eine zutiefst verunsicherte, in Flügelkämpfe verstrickte SPD, die nur halbherzig den trockenen Ausführungen ihrer Galionsfigur folgt. Und selbst die gestanzten Bulletins, die er absondert, gleichen eher einer Zick-Zack-Linie denn einer Vorwärtsstrategie. Einmal für und dann wieder gegen Steuersenkungen, einmal gegen und dann wieder für die "Reichensteuer", einmal bedingungslos für Staatshilfen an marode Konzerne, dann aber - wie zuletzt bei Arcandor-Wertheim - Schweigen im Walde.
Der morsche Sprungstab sind die SPD-Anhänger, die nur etwa zur Hälfte davon überzeugt sind, dass ihr Kanzlerkandidat der bessere sei. Bei den Deutschen insgesamt führt Angela Merkel mit rund 20 Prozent Vorsprung vor dem Herausforderer. In der Frage von Staatshilfen für Großbetriebe verweigern ihm sogar zwei Drittel seiner Parteigenossen die Gefolgschaft.
Die Nervosität steigt, denn das von Parteichef Franz Müntefering entwickelte Konzept, aus der Koalition heraus einen Oppositionswahlkampf zu führen, ist gerade grandios gescheitert. Der Versuch, sich auf den jungen CSU-Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg einzuschießen, wurde gleichfalls zum Rohrkrepierer.
Am Sonntag soll das SPD- "Regierungsprogramm" beschlossen werden, ein waghalsiges Manöver zwischen der Skylla konservativen Krisenmanagements und der Charybdis links-populistischer Parolen. Doch bisher hat die SPD immer bewiesen, dass sie auch in den aussichtslosesten Lagen wahlkämpfen kann.