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Die spinnen, die Kompasse

Von Heiner Boberski

Wissen

US-Wetterdienst NWS warnte vor Folgen einer "dramatischen Eruption". | Störungsgefahr in der Telekommunikation und in der GPS-Navigation. |


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Wien. Stell dir vor, es geht das Licht aus - ganz plötzlich, unvermutet, womöglich im ganzen Land oder sogar darüber hinaus: Stromnetze brechen zusammen, Satelliten zur Telekommunikation und Navigation versagen ihre Dienste, magnetische Kompasse weisen in die falsche Richtung. Wahrscheinliche Ursache: die Störung des Erdmagnetfeldes durch einen heftigen Sonnensturm.

Nach einer "dramatischen Eruption" auf der Sonne, immerhin in 150 Millionen Kilometer Entfernung von der Erde, warnte der US-Wetterdienst NWS am Mittwoch vor den möglichen Auswirkungen eines solchen Phänomens, die für 20 Uhr (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe) erwartet wurden. Bis ein Sonnensturm sich auf der Erde auszuwirken beginnt, vergehen 24 bis 36 Stunden, die Störung kann dann 24 bis 48 Stunden dauern.

Auslöser eines Sonnensturms oder magnetischen Sturms sind Sonneneruptionen oder "koronale Massenauswürfe", bei denen geladene Partikel von der Sonne ausgestoßen werden. Ein Sonnenwind, bei dem es sich um ein Magnetfelder beeinflussendes Plasma handelt, besteht vorwiegend aus Protonen, Elektronen und Heliumkernen. Beträgt die Geschwindigkeit eines langsamen Sonnenwindes etwa 400 Kilometer pro Sekunde, so fegt der aktuelle Sonnensturm laut der US-Weltraumbehörde Nasa mit 1400 Kilometern pro Sekunde durchs All. Da sich die jetzige Eruption aber am Rand der Sonne ereignet hat, halten die Experten die Auswirkungen der Partikelströme auf die Erde für "relativ gering", obwohl die Eruption "optisch spektakulär" gewesen sei.

Mit Sonnenstürmen ist unser Sonnensystem seit seinem Bestehen vertraut, die Menschheit war bisher kaum gefährdet. Heute ist aber die Frage, wie anfällig moderne Technologien für die magnetischen Attacken sind und wie weit ihr Ausfall katastrophale Folgen haben kann. Mit Störungen in Stromnetzen und bei der Satellitennavigation sowie mit der Umleitung von Interkontinentalflügen über die Polarregion ist jedenfalls im Zuge von Sonnenstürmen immer zu rechnen.

Als Alexander von Humboldt am 21. Dezember 1806 in Berlin starke Störungen seines magnetischen Kompasses registrierte und in der folgenden Nacht Polarlichter sah, war das eine erste wissenschaftliche Beobachtung eines magnetischen Sturms.

1959 experimentell bewiesen

Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts nahmen Forscher die Existenz von Sonnenwinden an, um Irritationen des Erdmagnetfeldes, das Entstehen von Polarlichtern oder die Richtung von Kometenschweifen (da diese nicht exakt von der Sonne weg gerichtet sind) zu erklären. Experimentell beweisen ließen sich Sonnenwinde aber erst 1959 durch die sowjetische Mondsonde "Lunik 1" sowie 1962 durch die US-Sonde "Mariner 2".

Seither zielten etliche Missionen auf die Erforschung des Sonnenwindes, den man auch schon mit Hilfe von Sonnensegeln zum Antrieb von Raumfahrzeugen nutzen wollte. Gegner der Klimawandel-Theorie sehen die Kapriolen des Sonnenwindes und nicht den CO2-Ausstoß als Hauptursache für Klimaschwankungen an.

Ein magnetischer Sturm bewirkte, dass Anfang September 1859 das gerade erst weltweit installierte Telegrafennetz von einem magnetischen Sturm lahmgelegt wurde und zugleich von Rom über Havanna bis Hawaii Polarlichter zu sehen waren. Ein anderer ließ nach einem Transformatorausfall am 13. März 1989 Millionen Kanadier stundenlang im Finsteren sitzen. Vorsichtige sollten damit rechnen, dass sie, wenn ein solcher Sturm mehr Schaden als mutmaßlich dieses Mal anrichtet, geraume Zeit ohne Elektronik auskommen müssen.