Zum Hauptinhalt springen

Die SPÖ und der Wunsch nach Partizipation

Von Isolde Charim

Gastkommentare

Über ein tiefes Unverständnis.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Der Abgang von Sonja Ablinger, das Ausscheiden von Niki Kowall und die lustlose Wiederwahl von Werner Faymann - drei zeitnahe Ereignisse, die zeigen: Die innerparteiliche Demokratie in der SPÖ steckt in der Differenz zwischen 84 und 90 Prozent. Ein ziemlich schmaler Grat für sie.

Parteien sind nach wie vor hierarchische Institutionen. Sie haben ein fixes Angebot an Identität, Weltbild, Haltung und Gemeinschaft. Dazu gehört auch eine spezifische Form der Einbindung: Man reiht sich ein. Nun ist es aber so, dass so eine Partei heute auf ganz andere Subjekte trifft - auf selbstbewusste und eigenständige Bürger. Und vielleicht ist das ja zum Teil auch ein Erfolg ebendieser Partei. Dann tritt der Partei ihr eigener früherer Erfolg heute als Problem entgegen. Denn diese Menschen wollen sich nicht einfach einreihen. Sie wollen vorkommen. Sie wollen partizipieren. Es ist dies ein ernster aber auch ein widersprüchlicher Wunsch.

Zum einen heißt Partizipation Teilhabe, Entscheidungsbeteiligung, Mitsprache. Aber ist damit reale Beteiligung, reale Mitsprache gemeint? Die Frage ist nicht so absurd, wie sie klingen mag. Denn es geht bei dem Wunsch nach Partizipation nicht nur darum, die objektive Wirklichkeit in eine Richtung zu lenken. Mindestens ebenso wichtig ist die subjektive Wirklichkeit - das Gefühl, gehört, anerkannt zu werden, vorzukommen, sich gemeint fühlen. Die selbstbewussten Individuen lassen sich nicht mehr über einen Identitätskamm scheren. Sie wollen als Einzelne vorkommen. Und bereits das hat Auswirkungen.

Denn dazu braucht es Foren, wo die Leute gehört werden, wo sie zu Wort kommen. In einer Partei, wo es Gehorsam und Parteidisziplin gibt, ist dies bereits eine große Öffnung. Wie etwa bei der SPD, die ihre Mitglieder vor einem Jahr über den Koalitionsvertrag abstimmen ließ. Das Gefühl zu partizipieren, das Gefühl teilzunehmen ist also kein Defizit gegenüber einer realen Partizipation. Denn damit das Gefühl aufkommt, muss es ja einen realen Ort innerhalb einer Partei geben, wo dieses Gefühl überhaupt entstehen kann. Es muss einen Resonanzraum geben, um gehört zu werden.

Zum anderen aber zeigt sich, dass dies ein äußerst sprunghafter Wunsch ist. Wir wollen, ja wir können nur sporadisch am politischen Leben partizipieren - an einzelnen Projekten, in einzelnen Konflikten. Kontinuierliche demokratische Verfahren sind zu aufwendig für unseren Lebensalltag. So ergibt sich der Widerspruch: Wir wollen mehr partizipieren und zugleich von zu viel Engagement befreit werden. Dazu hat sich seit den 1990er Jahren eine Praxis des "outsourcing" von politischem Engagement entwickelt: Dieses wird - je nach politischer Präferenz - in NGOs oder in Lobbygruppen ausgelagert. Entlastung bringen aber auch paradigmatische Figuren, die innerhalb einer Partei für Einspruch und Kritik stehen - in der SPÖ etwa Sonja Ablinger und Niki Kowall. Während sie dafür stand, dass die Frauenquote nicht
nur ein Lieferant für weibliche Partei-
soldaten ist, stand er für eine Parteijugend, die nicht nur Nachwuchs liefert. Wenn nun beide der Partei "abhanden" kommen, dann spricht das für ein tiefes Unverständnis der Parteistrategen: Sie verkennen, dass die Integration von Ketzern die Kirche stärkt. Gerade heute.