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Umfassende Genom-Studie soll auch die Verbreitung indoeuropäischer Sprachen erklären.
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Wien. Neue Antworten auf ein altes Rätsel verspricht eine eben im Fachjournal "Science" veröffentliche Studie: So umfassend wie nie zuvor wurden frühgeschichtliche Migrationsbewegungen in Mittel- und Südasien untersucht, die auch die Ausbreitung der indoeuropäischen Sprachen erklären sollen. Das berichtet ein Team der Harvard Medical School in Cambridge, Massachusetts (USA), dem auch Ron Pinhasi von der Universität Wien und Maria Teschler-Nicola vom Naturhistorischen Museum Wien angehören.
Als "indoeuropäisch" fassen Linguisten mehrere hundert Sprachen zwischen Island und Indien zusammen, die einander im Wortschatz und in ihren grammatikalischen Mustern ähneln. Rund drei Milliarden Menschen sprechen heute eine indoeuropäische Sprache, etwa Englisch, Spanisch, Russisch, Deutsch, Persisch oder Hindi. Begonnen hat die beispiellose Karriere dieser Sprachfamilie vor vermutlich 5000 Jahren irgendwo nördlich des Schwarzen Meeres. Wie sie sich in frühgeschichtlicher Zeit ausbreitete, wird seit langem in der Fachwelt diskutiert.
Die "Anatolien-Hypothese" vermutet, dass mit der Ausbreitung des Ackerbaus vom Gebiet des heutigen Anatolien aus auch die Sprache dieser frühen Ackerbauern nach Europa wie nach Zentral- und Südasien getragen worden sei. Dem widerspricht die neue Studie. Sie bringt die ältere "Steppen-Hypothese" zu neuen Ehren: Wie schon früher vermutet, hätten viehzüchtende Hirten auf ihren Wanderungen nach Westen auch ihre Sprache verbreitet, aus der später die romanischen, keltischen, germanischen und meisten anderen Sprachen in Europa wurden. Die Ausbreitung nach Asien sei erst wesentlich später erfolgt.
Als Basis der Arbeiten dienten vor allem Genom-Untersuchungen von über 500 Personen aus 8000 Jahren. Der Fokus lag auf der in dieser Hinsicht wenig erforschten Region Mittel- und Südasien und besonders Indien. Hier ließen sich etwa die genetischen Spuren der ehemaligen Steppenbewohner verstärkt in Bevölkerungsgruppen nachweisen, deren Mitglieder einst als Priester die heiligen Schriften hüteten - und diese waren in der indoeuropäischen Sprache Sanskrit verfasst. "Die Feststellung, dass Brahmanen mehr Steppen-Abstammung haben als andere Gruppen in Südasien, liefert ein faszinierendes neues Argument für einen Steppenursprung für indoeuropäische Sprachen in Südasien", betont David Reich von Harvard Medical School, einer der federführenden Autoren der Studie.
Doch wie lassen sich genetische Befunde mit der Verbreitung von Sprachen verbinden, oder einfach gesagt: Kann man an einem Skelett ablesen, ob diese Person eine dravidische, semitische oder eben indoeuropäische Sprache gesprochen hat? Mit Sicherheit könne man das wohl nicht, sagt Ron Pinhasi vom "Department of Evolutionary Anthropology" der Universität Wien und Mit-Autor der Studie zur "Wiener Zeitung". Man verlasse sich neben genetischen Analysen auf archäologische Belege und Zeugnisse materieller Kultur. Diese mit einer bestimmten Sprache zu verbinden, sei freilich bis zu einem gewissen Grad hypothetisch; immerhin gehe es hier um Zeiträume lang vor Erfindung der Schrift. Den enormen Wert der Studie mindert das jedoch nicht. Sie zeichnet ein klareres Bild frühgeschichtlicher Migration. Ihre Aussagen zur Sprachgeschichte stehen aber auf weniger sicherem Boden.