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"Ich bin nur so wie ich wirke". Pantomime und Körpersprache-Experte Samy Molcho im Gespräch mit dem "Wiener Journal". Über Urinstinkte, Hände wie Stachelschweine und die Wichtigkeit von Klimaanlagen für Bundeskanzler.
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Samy Molcho bestellt einen grünen Tee. "Mit ganz viel Nana", bittet er. Die grünen Minzblätter streut er in das heiße Wasser, dann lehnt er sich zurück und lächelt abwartend. Als Gesprächspartner auf der anderen Seite überprüft man einstweilen die eigenen Bewegungen: Sind die Arme verschränkt, die Stirn in Falten? Warum man sich wohl gerade jetzt am Hinterkopf kratzt? Wenn man einem Körpersprache-Experten wie Samy Molcho gegenübersitzt, bekommen die unzähligen unbewussten Bewegungen plötzliche eine schwerwiegende Bedeutung. Ob er wohl alle Gesprächspartner automatisch analysiert? "Schau, beruflich analysiert man", sagt Molcho. "Und sonst sieht man einfach mehr. Man sieht und merkt gewisse Sachen automatisch. Das Wichtige ist, nicht zu urteilen, ein Urteil ist immer sehr subjektiv. Ich sehe diese Sachen - ob sie gut oder schlecht sind, ist vollkommen egal." Ob man etwas für gut oder schlecht hält, hängt immer vom Kontext ab, von unseren Erfahrungen, unseren gesellschaftlichen Regeln, erklärt Molcho. Die Körpersprache selbst wird unmittelbarer gesteuert: "Der Körper wird durch Empfindungen und Gefühle bewegt, nicht über das Denken. Denken ist statisch." Samy Molcho zeigt auf einen Sessel: "Dieser Stuhl ist nichts ohne Beziehung. Erst das Gefühl erzeugt eine Beziehung und es wird ein schöner Stuhl." Der Sessel steht im Inneren des neuen Sofitel-Towers im zweiten Wiener Bezirk. Hier, im Zentrum des Designkaufhauses Stilwerk, hat Samy Molchos Frau Haya erst kürzlich ihr zweites Lokal eröffnet, das "Neni im Zweiten". Das erste Neni, eines der wenigen zweistöckigen Lokale am Wiener Naschmarkt, wurde innerhalb kürzester Zeit zum immervollen Szenelokal, in dem Haya Molcho israelisch und international kocht, zwei der vier gemeinsamen Söhne arbeiten ebenfalls mit. Gerade bringt Haya Molcho einen New York Cheesecake zum Tisch: "Ich habe etwas Neues ausprobiert und das Rezept abgewandelt. Sagt mir, wie er euch schmeckt."
Wie seine Frau Haya ist auch Samy Molcho in Tel Aviv geboren, er studierte in Israel Tanz und Schauspiel und widmete sich bald als Solist der Kunst der Pantomime. 1960 gab er als 24-Jähriger seinen ersten abendfüllenden Pantomimeabend, der zu einem großen Erfolg wurde und eine 20-jährige internationale Erfolgskarriere einleitete. Bis in die späten Achtzigerjahre inszeniert Molcho bei den Wiener Festwochen und an vielen großen Theatern, er reist für Engagements zu internationalen Festivals. 1977 eröffnet er eine Pantomimeschule in Wien, unterrichtet 27 Jahre an der Wiener Hochschule für Musik und am Reinhardt-Seminar. 1983 kommt Molchos erstes Buch "Körpersprache" heraus, mittlerweile ist Molcho der Experte auf dem Gebiet und gibt seit nunmehr fast 30 Jahren Seminare und Vorträge auf der ganzen Welt. Wie kam es zu seiner Begeisterung für die Körpersprache? "Ich bin hineingewachsen. Ich habe mit zehn Jahren begonnen, Theater zu spielen. Theater ist Beobachtung, du stimulierst in dir Gefühle. Das Bewegungskonzept, das ich durch einen Charakter annehme, verändert meine Einstellung zur Umwelt", sagt Samy Molcho. "In der Pantomime war das noch konzentrierter: ich hatte keine Worte, ich musste definieren, was der Unterschied zwischen müde, depressiv, schüchtern und alt ist." Molcho macht die Bewegungen eines alten Mannes, wechselt gleich zu einem müden Charakter und erklärt die feinen Unterschiede - "Jemand der jung ist, hat noch immer Spannung in den Muskeln - auch wenn er müde ist. Das Verhalten in meinem Körper muss sehr genau sein, um zu sehen, was mit mir passiert." Wie er sich sein Wissen über die Sprache des Körpers erarbeitet hat? "Ich habe einen Vorteil gegenüber allen Forschern: Die Information, die ich mit einer sehr hohen bewussten Beherrschung von meinem Körper hole, ist viel größer als die von denen, die das nur von außen beobachten. Das ist sehr technisch - ich hingegen überlege mir, was in mir passiert, wie ich atme, ob mein Kreislauf anders wird - ich nehme den gesamten Komplex." Diese Beobachtungen macht Samy Molcho allerdings nicht vor dem Spiegel: "Ich probe nie vor dem Spiegel. Das ist ein Vorteil von Legasthenikern - wir denken in Bildern", meint er und lacht. Die vielen Beobachtungen haben ihm geholfen, in der Körpersprache die kleinsten Nuancen wahrzunehmen. "Ich bin dann wirklich durch Interesse immer mehr in die Forschung hineingegangen. Mein Vorteil ist, dass ich kein Akademiker bin. Akademiker sind festgenagelt - ich konnte mir die Rosinen aus allen Gebieten nehmen, von der Psychologie, der Anthropologie, von Tierforschungen. Ich habe die Sprache beobachtet, die unentwegt Körpersprache beschreibt: Ich komme Dir entgegen, Er vertritt einen Standpunkt."
Es gibt Dinge über Körpersprache, die mittlerweile jeder weiß. Etwa, dass verschränkte Arme dem Gesprächspartner nicht gerade die größte Offenheit beweisen. Sie bedeuten allerdings nicht immer Abneigung oder Desinteresse: "Jemand mit verschränkten Armen bleibt passiv. Was er hört, betrifft ihn nicht. Er hört zu, bleibt aber distanziert. Wenn es interessant wird, wird er sich öffnen." Die verschränkten Arme seien wie ein Filter, der nur bekannte Informationen durchlässt: "Nur wenn ich mich öffne, bin ich bereit zu empfangen, was mir nicht bekannt ist. Dann ist die Neugier da." Die verschränkten Arme sind nur eine Bewegung, über deren Hintergründe Samy Molcho viel erzählen kann. Er kreierte Namen für Bewegungen, wie die "Pistole" (zwei Zeigefinger aneinander), die man seinem Gegenüber ansetzt, oder das "Stachelschwein", wenn man mit ineinander verschränkten, gespreizten Fingern Abwehr ausdrückt. Viele Bewegungen und deren Interpretation beziehen sich auf unsere Urinstinkte und archaische Muster, "das bleibt programmiert bei uns." In seinem Buch "Alles über Körpersprache" erklärt Molcho die fünf Grundeinstellungen des Körpers: Attacke, Flucht, Verstecken, Hilfe suchen und Unterwerfung. "Alle Bewegungen sind dem Vorsatz untergeordnet, mein Ziel zu erreichen. Ob ich einer Beute nachrenne, einem Job, einem Gedanken, einem Ideal - es ist stets derselbe Vorwärtsdrang, der mich beherrscht."
Samy Molchos Bücher widmen sich der Körpersprache im Beruf, in der Partnerschaft oder in der Familie, der Körpersprache der Kinder, in Vorträgen und Seminaren erklärt Molcho Managern, Politikern und Privatleuten, wie sie sich körpersprachlich besser ausdrücken können. So hat er auch den nunmehrigen Ex-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer für seine Auftritte bei der Nationalratswahl 2006 beraten. Welche Politiker er derzeit berät, lässt er sich nicht entlocken: "Das sage ich nicht, das ist wie beim Arzt." Für Politiker und Manager in hohen Funktionen ist Körpersprache besonders wichtig, gerade hier wirkt sie aber oft steif und einstudiert. Führt sich das Training dann nicht ad absurdum, wenn alle Politiker die gleichen Handbewegungen machen? "Das ist, weil sie einen schlechten Coach haben", sagt Molcho. "In Mitteleuropa hat man Angst zu sagen, dass man einen Coach hat. Aber es ist ganz natürlich: Ein kleiner Funktionär steigt auf, und plötzlich steht er vor tausenden Leuten und muss überzeugen. Natürlich muss er lernen, wie man das macht." Gusenbauer etwa musste auf seinen Temperaturhaushalt achten: "Er schwitzt sehr schnell. Selbstverständlich muss er schauen, wenn er in ein TV-Studio kommt, dass eine Air-Condition da ist. Wenn nicht, ist in dem Moment, wenn er sich den Schweiß aus dem Gesicht wischt, die Kamera auf ihm. Dann heißt es, er ist schwach, er hat Angst." Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel habe einen schlechten Coach, meint Molcho: "Es ist ihr noch nicht gelungen, ihre Einstellung zu ändern, sie ist sehr fixiert. Deshalb gehen ihre Hände immer wie ein Hampelmann, sie kanalisiert alles", meint Samy Molcho: Es gehe immer um die innere Einstellung. "Ich arbeite deshalb nur mit jemandem, wenn ich länger mit ihm arbeiten kann. Wir diskutieren dann über seine Einstellung zu seiner Rolle." Bleibt die Authentizität auf der Strecke, wenn sich Politiker sehr stark nach ihren Coachs richten? "Was ist authentisch?", fragt Molcho. "Es geht immer um Gewohnheit, niemand ist es gewohnt, Bundeskanzler zu sein. Es braucht seine Zeit: Am Anfang ist es fremd, dann wirkt man nicht authentisch, nicht glaubhaft. Man muss lange genug trainieren, dann wird es ein Teil von mir." Es dürfe nicht als Schwäche dargestellt werden, wenn sich Politiker einen Trainer nehmen, "gottseidank nehmen sich manche Trainer, sie wollen sich entfalten. Sie lernen, eine andere Seite in sich zu entwickeln - jemand ist ja nicht umsonst Generaldirektor oder Kanzler geworden."
Aber ist Körpersprache auch noch echt, wenn man durch das Wissen von Büchern und Trainings danach handelt und nicht mehr unbewusst mit dem Körper agiert? "Bewusst oder unbewusst spielt keine Rolle. Zieh Deine Augenbrauen hoch und versuche, aggressiv zu sein - kannst du nicht. Es aktiviert etwas in deinem Körper. Eine Bewegung schaltet eine Reihe von Nebenaktionen ein." Also ist Körpersprache immer echt? "Ja, wenn du das Gesamtbild nimmst." Ein Lächeln wirkt etwa erst dann wie ein echtes Lächeln, wenn nicht nur die Mundwinkel nach oben zeigen, sondern der ganze Körper mitwirkt. "Wenn Du ein geschultes Auge hast, merkst du den Widerspruch, wenn eine Bewegung den anderen Bewegungen widerspricht." Molcho führt ein Beispiel vor - er lässt die Schultern hängen, sein Gesicht fällt zusammen, mit müden Augen sagt er: "Ich bin leidenschaftlich, sehr leidenschaftlich." Dann hebt er die Augenbrauen: "Und, glaubt man es mir? Eben! Existenz ist Wirkung. Wir alle wollen aufeinander wirken", sagt er. "Ich bin nur so, wie ich wirke, nicht was ich denke. Was ich denke, ist vollkommen egal."
Bücher von Samy Molcho.
?"Alles über Körpersprache. Sich selbst und
?andere besser verstehen", Goldmann Verlag
?"Körpersprache des Erfolgs", Ariston Verlag
?"Körpersprache der Kinder" Ariston Verlag
?"Umarme mich, aber rühr mich nicht an.
?Die Körpersprache der Beziehungen. Von
?Nähe und Distanz", Ariston Verlag