Museumswürdig, nicht museumsreif: So präsentiert sich unsere Muttersprache derzeit in der von Ieoh Ming Pei errichteten Ausstellungshalle des Deutschen Historischen Museums.
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Kein Zweifel: Reinheit und Schönheit der deutschen Sprache sind heute durch viele Einflüsse - von außen wie von innen - gefährdet. Und dennoch ist das Deutsche lebendig geblieben wie eh und je. Mit einem Wortschatz von rund 300.000 Vokabeln ist es ein "Bedeutungsriese", wie Hans Ottomeyer, der Generaldirektor des Deutschen Historischen Museums, meint. Jährlich kommen weitere rund 1000 Ausdrücke hinzu und bereichern unsere Sprache.
Mit rund 120 Millionen Sprechern zählt das Deutsche zu den Weltsprachen, auch wenn es, gleichfalls laut Ottomeyer, ein "Geltungszwerg" ist. Dabei steuert ausgerechnet eine Boy-Group dagegen: Seit die struwweligen Burschen von "Tokyo Hotel" die internationalen Charts erobert haben, wollen immer mehr Jugendliche weltweit Deutsch lernen, um die Texte zu verstehen. Rund um den Globus lernen immerhin etwa 17 Millionen Menschen die deutsche Sprache.
Deutsch als Erfolgsgeschichte - so zeigt noch bis Anfang Mai das Deutsche Historische Museum in Berlin "die Sprache Deutsch" in einer multimedialen Schau. Die Frage, ob man denn eine Sprache überhaupt ausstellen kann, beantworten die Kuratoren und Macher mit einer Überfülle an technischen Spielereien, beginnend mit einer von 16 Lautsprechern bestückten "Tonschleuse", über Collagen von anonymen Lauten bis zu altdeutschen Klangböen oder Zitaten von Mark Twain bis Ludwig Wittgenstein. Danach folgen anatomische Modelle der Mundhöhle und weitere 250 Exponate - Bücher, Manuskriptblätter, Büsten, Gemälde, Phonographen, Tonträger, Videos, Varia und Kuriosa. Ein bisserl viel auf einmal auf engem Raum.
Zu bestaunen gibt es hier bibliophile Raritäten, wie etwa das älteste deutsche Buch, den "Abrogans" aus dem achten Jahrhundert, das wohl erste lateinisch-deutsche Wörterbuch, sowie den Sachsen- und den Schwabenspiegel, die ältesten deutschen Rechtsbücher. Martin Luthers erste Schrift in deutscher Sprache. Goethes wunderschöne, mit dem eigenen Porträt geschmückte Schreibschatulle. Oder Originalmanuskripte wie Lessings "Emilia Galotti" oder Kleists "Zerbrochnen Krug", ein mit Bühnenskizzen versehenes Regiebüchlein Max Reinhardts für Büchners "Dantons Tod", Gedichte von Brecht, Prosa von Thomas Mann, Döblin und Franz Kafka.
Sprache und Spracherwerb, Sprachgeschichte, Dichtkunst und Sprache, Sprache und Technik sowie lebendige Sprache - in fünf Kapiteln wird der Besucher durch die Ausstellung geführt bis zu einem kreisrunden Raum, in dem sämtliche Heftchen des Reclam-Verlages zum Lesen einladen.
Wem um die Zukunft unserer Sprache bange ist, dem sei zum Trost gesagt, dass nicht nur Anglizismen zu uns, sondern auch deutsche Wörter ins Ausland wandern: Auch wenn die Franzosen schwören, dass "Rollmops" ein französisches Wort sei. In Chile können Sie getrost "Kuchen" bestellen. Englische Tontechniker verwenden den Begriff "Gestaltmikrofon". Das Norwegische bezieht knapp die Hälfte seines Wortschatzes aus deutschen Ursprüngen. Personen, deren Benehmen "unter dem Hund" ist, nennt der Slowene "unterhund". Wenn dem Polen die Bezeichnung für irgendein Ding gerade nicht einfällt, nennt er es einfach "Wihajster" (= wie heißt er). Vielleicht bekommt man als Piefke am Naschmarkt in Wien keinen "Blumenkohl", aber auf einem indonesischen Gemüsemarkt wird man sofort verstanden.
Ab September soll eine Auswahl aus dieser Ausstellung und der Parallel-Schau in Bonn ("man spricht Deutsch") auf Weltreise für unsere Sprache werben.