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Die staatliche Revolution

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Im Umbau des Systems sieht die polnische Regierungspartei PiS ihre Mission.


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Warschau. Als "Bullterrier der Kaczynski-Brüder": So soll sich der Publizist und Politiker Jacek Kurski selbst bezeichnet haben. Das ist mehr als zehn Jahre her, und seitdem hat die Karriere des polnischen Nationalkonservativen einige Wendungen genommen: vom Parteiausschluss und -wechsel über einen Sitz im EU-Parlament bis hin zur erneuten Zusammenarbeit mit der von Lech und Jaroslaw Kaczynski gegründeten Fraktion Recht und Gerechtigkeit (PiS). Nun ist Kurski zum Leiter des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders TVP ernannt worden - einen Tag, nachdem Staatspräsident Andrzej Duda ein neues Mediengesetz unterzeichnet hatte, das der Regierung die direkte Bestimmung und Abberufung von Vorsitzenden und Aufsichtsräten ermöglicht. Weitere Nominierungen werden folgen, denn die Verträge der bisherigen Führungsmitglieder im staatlichen Radio und Fernsehen verlieren ihre Gültigkeit - und etliche Funktionäre haben bereits ihren Rücktritt bekanntgegeben.

Die Bestellung Kurskis fügt sich in eine Reihe von Umbesetzungen im öffentlichen Dienst. Nicht nur in den Ministerien kam es nach dem Wahlsieg von PiS vor gerade einmal zweieinhalb Monaten zum Personalwechsel: Auch in staatlichen Unternehmen, etwa in der Energiebranche, wurden die Vorstandsvorsitzenden ausgetauscht. Vor dem Verfassungsgericht machte die Umgestaltung ebenfalls nicht Halt: Die Bestimmung mehrerer neuer Richter im Eilverfahren sorgte für heftige Kritik auch über die Grenzen des Landes hinweg.

Vaterland zuerst

Doch für Kaczynskis Gruppierung - und vor allem den Vorsitzenden selbst - geht der Auftrag der Wähler über das Führen der Regierungsgeschäfte hinaus. Es geht um eine Mission: den Umbau des Staates. Eine "positive Änderung" nennt es Premierministerin Beata Szydlo, und Jaroslaw Kaczynski selbst hätte gegen eine Revolution nichts einzuwenden. Daran, dass es nämlich der Parteichef ist, der im Hintergrund die Marschrichtung vorgibt, gibt es kaum Zweifel. Auch als sein Zwillingsbruder, Mitstreiter und schließlich Staatspräsident Lech Kaczynski, der später bei einem Flugzeugabsturz umkam, noch lebte, war Jaroslaw Kaczynski der Ideologe der Fraktion. Dass nun etliche seiner langjährigen Weggefährten Spitzenposten übernehmen, zeigt ebenfalls die kaum angefochtene Macht des Politikers und ehemaligen Oppositionsführers.

Die Revolution, die Kaczynski vorschwebt, löst aber neben dem Applaus von Sympathisanten auch Unbehagen im In- und Ausland aus. Die Zivilgesellschaft formiert sich; in mehreren polnischen Städten kam es noch zu Jahresende zu Demonstrationen gegen das Vorgehen der Regierung, die sich im Parlament auf eine Mehrheit ihrer eigenen Abgeordneten stützen kann. Für Samstag wurden weitere Protestaktionen geplant. Die EU-Kommission wiederum will ein Prüfverfahren einleiten, das mögliche Gefahren für die Rechtsstaatlichkeit orten soll.

Drohungen von außen können freilich nach Expertenmeinung das Gegenteil vom Beabsichtigten bewirken: Abwehrreaktionen statt Entgegenkommen. Denn selbst die Europäische Union, der Polen vor gut zehn Jahren beigetreten ist, wird noch immer oft als etwas Fremdes betrachtet, gegen das es die Anliegen des eigenen Landes zu verteidigen gilt. In der Führungsschicht von PiS gebe es kein immenses Interesse an der EU oder globalen Entwicklungen, erklärt Malgorzata Bonikowska, Leiterin des nicht-staatlichen Zentrums für internationale Beziehungen (CSM) in Warschau: "Für PiS ist Polen die ganze Welt." Und das Vaterland gelte es zu retten.

Diese Überzeugung habe ihre Ursprünge in den Anfängen der noch jungen polnischen Demokratie, in den Jahren 1989 und 1990, als das sozialistische Regime gestürzt wurde, analysiert Bonikowska. Dass es zu einer Kooperation zwischen den Postkommunisten und den einstigen Oppositionellen im Untergrund gekommen ist und nicht zu einer sofortigen radikalen Abrechnung mit den einstigen Machthabern, muss den Kaczynski-Brüdern, die ebenfalls Teil der Opposition waren, wie ein Verrat vorgekommen sein. Daher können auch die Entwicklungen der darauf folgenden Jahre nicht positiv bewertet und könne das System in seiner jetzigen Form nicht akzeptiert werden.

Dialog nötig

Vielmehr müssen die bisherigen Pathologien bekämpft, die für Polen schädlichen Verflechtungen zwischen Politik, Wirtschaft und ausländischen Manipulatoren zerschlagen, wie ein Geschwür aus einem kranken Körper herausgeschnitten werden: Das sind Formulierungen, die Regierungspolitiker verwenden. Das rasante Tempo, mit dem Änderungen im öffentlichen Dienst, im Gerichtswesen oder in den Medien durchgesetzt werden, ist ein Resultat solcher Anschauungen.

Aber auch wenn laut Umfragen nicht einmal ein Viertel der Polen diese Überlegungen teilt und die Vorgangsweise der Regierung gutheißt, ist diese das Ergebnis einer demokratischen Wahl. Das müsse die EU in ihrer Reaktion berücksichtigen, argumentiert Bonikowska. Sie setzt auf eine Intensivierung der Kontakte: Je mehr Treffen es zwischen den Politikern gebe, je mehr Gespräche und Möglichkeiten der Erklärung, umso eher sei eine Annäherung möglich. Ob in Warschau oder Brüssel. Denn dorthin müssen die polnischen Minister immer wieder fahren - ob es sie interessiert oder nicht.