Experte: Athen kann sich ohne Pleite und Umschuldung nicht befreien. | Lasche Stresstests für Europas Banken wären "verrückt". | Brüssel/Lissabon. Die Schuldenkrise meldet sich vor dem EU-Gipfel am Freitag mit voller Wucht zurück. Portugal besorgte sich am Mittwoch zwar eine Milliarde Euro frisches Geld auf dem Finanzmarkt - allerdings zu extrem schlechten Konditionen: Für nur zwei Jahre Laufzeit muss Finanzminister Fernando Teixeira dos Santos 6 Prozent Zinsen zahlen, um die Investoren bei Laune zu halten - fast zwei Prozentpunkte mehr als zuletzt.
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Mit diesen Aufschlägen rutscht das Land immer tiefer in die Schulden. Dabei stehen die großen Brocken noch bevor: Im April muss das Euroland Schuldpapiere im Wert von 4,3 Milliarden Euro refinanzieren, im Juni ist eine Anleihe über 4,9 Milliarden Euro fällig.
Hilfe auch für Portugal?
Die Marktstimmung für die maroden Länder der Europeripherie ist schlechter denn je. Bleibt die vage Hoffnung, dass die Euro-Gipfel am 11., 24. und 25. März Lösungen finden, welche helfen, die Risikoaufschläge einzufangen. "Portugal steht zwar viel besser da als Irland", sagt Zsolt Darvas von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel zur "Wiener Zeitung". "Wenn sich die Markteinschätzung nicht verbessert, wird dem Land aber nichts übrig bleiben, als ebenfalls unter den Euro-Rettungsschirm ( EFSF, Anm. ) zu fliehen."
Griechenland, das ebenfalls nicht mehr als kreditwürdig galt, ist dem Abgrund noch einen Schritt näher. Das Land wird sich trotz der Hilfskredite von EU und Währungsfonds über 110 Milliarden Euro nicht aus der Schuldenspirale befreien können. Mit den Hilfen hat sich die Eurozone zwar Zeit erkauft - wahrscheinlich wird die Laufzeit für Griechenland sogar von 3 auf 7,5 Jahre verlängert. Damit ist Athen aber wenig geholfen, rechnet Darvas vor: Seiner Einschätzung nach ist Griechenland effektiv pleite. Irgendwann wird das Land jedoch an den Markt zurückkehren müssen - wie, ist ohne Schuldenschnitt jedoch nicht absehbar, sagt Darvas.
Denn selbst wenn Athen erst 2034 (!) zur laut Maastricht-Vertrag vorgeschriebenen Schuldenquote von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung zurückkehren soll, müsste das Land bis dahin jedes Jahr einen Überschuss im Primärbudget (also im Staatshaushalt ohne Zinszahlungen) von 8,4 Prozent der Wirtschaftsleistung erzielen. Und das unter optimistischen Annahmen, in einem vorsichtigeren Szenario klettert der nötige Budgetüberschuss sogar auf 14,5 Prozent.
Unmögliche Sparziele
Das hat noch kein Industriestaat geschafft: Nur Norwegen schafft dank seiner Ölproduktion Budgetsalden von mehr als sechs Prozent Plus. Die Griechen müssten aber Jahr für Jahr zwischen einem Fünftel und einem Drittel ihrer Steuereinnahmen in die Hand nehmen, nur um Schulden zu begleichen: praktisch unmöglich.
Von Überschüssen ist Griechenland meilenweit entfernt. Das Budgetloch betrug 2010 (ohne Schuldentilgung) minus 3,7 Prozent. Mit rigiden Sparmaßnahmen und unter heftigem Protest der Bevölkerung soll es 2011 auf minus 0,8 Prozent sinken. Erst 2012 wird ein minimaler Überschuss von 1,1 Prozent erwartet.
Die EU- und Eurozonen-Politiker wollen nicht darüber sprechen, um keine Panik zu verbreiten, aber: Eine Pleite Griechenlands (das heißt, eine Neuverhandlung der Schulden) scheint unausweichlich.
Denn selbst wenn die EU ihre Hilfsmöglichkeiten voll ausschöpft - also unter anderem geringere Zinsen und längere Laufzeiten für die Hilfskredite ermöglicht - und sich die Lage auf den Finanzmärkten entspannt, wären immer noch Budgetüberschüsse von 6 Prozent nötig - im besten Fall.
Bis Ende März wollen die Regierungschefs klären, wie im permanenten Krisenmechanismus (ESM) ab Mitte 2013 Anleihengläubiger zur Kasse gebeten werden können. Darvas geht davon aus, dass Investoren auf rund 30 Prozent ihrer Forderungen verzichten müssten ("Haircut"). Die Sorge ist, ob damit Panik ausgelöst und der Finanzsektor in den Abgrund gerissen würde.
Prinzipiell wäre es für die Banken verkraftbar, so Darvas: Ein Abschlag, der die Nachhaltigkeit der griechischen Schulden herstellt, würde den Banken im Rest der Eurozone Ausfälle in einer Größenordnung von 35 Milliarden Euro bringen.
Wahl Pest oder Cholera
In den Stresstests für Europas Banken, die derzeit von der Aufsichtsbehörde EBA geplant werden, ist dieses Szenario dennoch ausgeklammert: Hier sollen nur Wertverluste, aber keine Staatspleiten simuliert werden. "Das ist verrückt", sagt Darvas. Oberste Priorität wäre es, marode Banken sofort mit frischem Kapital zu versorgen, sodass sie harte Stresstests überstehen - so schwierig es politisch sei, neues Steuergeld dafür aufzubringen. Danach könnte in der zweiten Jahreshälfte 2011 der Schuldenschnitt erfolgen. Die Alternative dazu ist nicht minder hässlich: Die EU-Länder müssten Griechenland über die 110 Milliarden Euro hinaus mit weiteren Krediten über die Runden helfen.