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Parks und Plätze werden privatisiert. In London und New-York zeigt sich, wie die urbane Entwicklung aussehen könnte.
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Kein Gerenne, keine Picknicks, keine Drachen, keine Besuche nach Mitternacht - die Regeln sind klar formuliert für die Garden Bridge in London, die 366 Meter lange, mit Büschen und Bäumen begrünte Gartenbrücke, die über der Themse gebaut wird.
Laut einem Dokument, das dem "Guardian" zugespielt wurde, sollen die Besucher anhand ihrer Mobiltelefone getrackt und von privaten Sicherheitsleuten überwacht werden, die ermächtigt sind, persönliche Gegenstände zu konfiszieren. Einige Beobachter fühlen sich an einen "Polizeistaat" erinnert.
Brücke für Sponsoren
Die Brücke, die zu Beginn der Planung als "urbaner Garten" gefeiert wurde, sorgt für immer größeren Unmut. Der Brückenkonstrukteur Alistair Lenczner, der unter anderen das Viadukt von Millau plante, bezeichnete die Garden Bridge als "private Gartenplattform, die vorgibt, eine Brücke zu sein". Die 247 Millionen Euro teure Brücke soll an 12 Tagen für die Öffentlichkeit geschlossen werden. Dann können Sponsoren wie der Rohstoffgigant Glencore Firmenveranstaltungen feiern. "Man geht dann von der Tate Modern, gesponsert von BP, über die Glencore-Brücke zum Royal Opera House, gefördert von Rio Tinto", kritisierte der Greenpeace-Aktivist Charlie Kronick. Der öffentliche Raum wird zur Sponsoren-
zone.

Der "Guardian" hat eine Karte veröffentlicht, auf der zu sehen ist, welche Plätze in London privatisiert sind. Der Bishops Place wurde 2010 an die Vermögensverwaltung von JP Morgan veräußert. Und man kann auch schon fast gar nicht mehr öffentlich am Themseufer flanieren. An zahlreichen Plätzen dürfen Fußgänger nicht passieren und keine Fotos machen - und schon gar nicht demonstrieren. Als Aktivisten der Occupy-Bewegung 2012 auf dem Paternoster Square vor der St. Paul’s Cathedral demonstrieren wollten, wurden sie von der Polizei des Platzes verwiesen. Der Grund: Der Paternoster Square gehört der Mitsubishi Estate, und ist damit Privatgrundstück. Die Grundstücksbesitzer erwirkten eine einstweilige Verfügung, in der es hieß: "Die Aktivisten haben kein Demonstrationsrecht auf dem Platz, der sich vollständig in Privateigentum befindet."
Die Ironie ist, dass die Ladenbesitzer sich über rückläufige Geschäfte beschwerten, weil die Demonstranten die Kunden vergrault hätten. In Wahrheit ist es genau umgekehrt: Die Eigentümer haben die Bürger verdrängt. "Die City wird zu Tode privatisiert", kritisierte der Schriftsteller Ian Martin im "Guardian".
In einer Stadt, in der die Immobilienpreise in so astronomische Höhen schießen, dass sie wohl bald in Quadratzentimetern berechnet werden, sind öffentliche Räume so kostbar wie die Luft zum Atmen. Schon heute gehen in London Hinterhofgaragen für eine Million Pfund über den Auktionstisch, Investoren aus Russland oder den Vereinigten Arabischen Emiraten bauen Luxus-Lofts in bester Lage. Eine Wohnung intra muros kann sich keine Familie mehr leisten. Die Menschen werden von Investmentfonds aus den Innenstädten vertrieben.
Wem gehört die Stadt?
Die Stadtsoziologin und Globalisierungstheoretikerin Saskia Sassen sagt im Gespräch mit dieser Zeitung: "Wir sehen eine massive Privatisierung des öffentlichen Raums. Megaprojekte zerstören das urbane Gefüge - kleine Straßen, Plätze, die gute alte öffentliche Daseinsvorsorge. Das sind alles Dinge, die für die durchschnittliche Person in der Stadt zählen. Und das ist ein ernsthafter Verlust." Die Stadt, so Sassen, verwandle sich in einen Business District.
Städte sind eigentlich für Menschen gemacht. Heute hat man den Eindruck, als seien Städte nur noch für Gebäude da. "Der öffentlich Raum wird ein Werkzeug, um Immobilenentwicklung zu erleichtern", sagt der Stadtsoziologe David Madden von der London School of Economics. "Der urbane Raum wird immer weiter abgesondert und exklusiv." In London werden günstige Wohnungen in Luxusimmobilien integriert, mit separatem Treppenhaus und getrennten Briefkästen. Die weniger betuchten Mieter betreten ihr Zuhause über eine Tür in einer Seitenstraße. Poor door, Armentür, heißt der Extraeingang. Mülltonnen und Fahrradstellplätze werden nach Besitzverhältnissen getrennt. Der Fassade sieht man diese Segregation nicht an.
Die Stadt New York hat in den vergangenen Jahren eine Reihe öffentlicher Parks privatisiert. Der Hedgefonds-Manager John Paulson kaufte sich mit einer 100-Millionen-Dollar-Spende in die Treuhand des Central Park Conservancy ein. Mit dem Geld von Investoren wurde die ehemalige Bahntrasse High Line in eine lärmende Touristenattraktion verwandelt, die mehr an Disneyland als einen Park erinnert.
Privat und öffentlich
Solche Investments sind auch deshalb interessant, weil Investoren sogenannte "air rights", Höhenrechte, erwerben können: In New York dürfen auch Hochhäuser nur eine bestimmte Anzahl von Etagen haben. Dafür, dass sie "öffentlichen" Raum schaffen, bekommen private Bauherren das Recht, Wohn- und Bürogebäude zu errichten, was sonst baurechtlich nicht zulässig wäre.
Der milliardenschwere Medienmogul Barry Diller hat mit dem Hudson River Park Trust einen 20-jährigen Leasing-Vertrag abgeschlossen, der es ihm erlaubt, direkt gegenüber seines Firmensitzes einen schwimmenden Park mit Wiesen, Hügeln und einer Konzertbühne in den Hudson River zu setzen. Die Kosten von 150 Millionen Dollar will der Philan-throp selbst aufbringen - als "Spende" für die Stadt.
Es ist freilich etwas anderes, wenn eine Stadt ihren Bürgern einen Park zur Verfügung stellt, als wenn das Recht auf Freizeit und Erholung von einem generösen Geldgeber gewährt wird. Die Befürchtung ist denn auch, dass sich der "Milliardärspark", wie er abwertend genannt wird, in eine Exklave für Reiche verwandelt. Öffentliche Parks werden zur Charity-Veranstaltung. David Callahan schrieb in der "New York Times":
"Das Design, das Arrangement und die Aufrechterhaltung von Parks war einst eine Funktion des demokratischen Prozesses. Heute fühlt man sich als Bürger wie ein Zuschauer privatisierter Entscheidungsfindungen. Ein schrumpfender öffentlicher Sektor, belastet durch Budgetkürzungen, schafft ein Vakuum für imaginative bürgerschaftliche Führung, das nun von einer neuen Klasse von Medicis gefüllt wird."
Die Philanthropen gehen bei der Förderung äußert selektiv vor. Während Vorzeigeobjekte wie der Central Park zu Juwelen ausstaffiert werden, verkommen Parks in Brooklyn oder in der Bronx. Die Frage ist auch, für wen diese Parks eigentlich gebaut werden und welche Rechte dort gelten. Wer in den "Sky Garden" des Londoner Hochhauses "Walkie-Talkie" möchte, muss eine Sicherheitsprozedur wie auf Flughäfen über sich ergehen lassen.
Shopping Malls
Auch das Stadtbild deutscher Innenstädte hat sich in den letzten Jahren komplett gewandelt: Neue Shopping-Malls schießen wie Pilze aus dem Boden, Business Improvement Districts (BIDs), Zusammenschlüsse von Immobilienbesitzern, sollen Standquartiere aufwerten. Das Management wird delegiert, die Innenstadt verwaltet wie ein Einkaufszentrum. Die Privatisierung städtischer Areale wirft die Frage auf, welche Regeln in diesen Bereichen gelten: Darf man zum Beispiel in einer Shopping-Mall gegen die Methoden des Textildiscounters Primark demonstrieren?
Am 11. März 2003 verteilten die Mitglieder der "Initiative gegen Abschiebungen" in einer Abflughalle des Frankfurter Flughafens Handzettel gegen die Abschiebung eines Ausländers. Die Demonstration wurde von Mitarbeitern der Fraport AG sowie Einsatzkräften des Bundesgrenzschutzes beendet. Die Fraport AG, Betreiberin des Flughafens, wollte politische Aktivitäten aus der Glitzerwelt des Airports verbannen und verhängte ein unbefristetes Flughafenverbot. Wer nicht reisen oder shoppen will, soll gehen.
Haus- vor Grundrecht?
Die Demonstranten klagten daraufhin vor dem Bundesverfassungsgericht. Das Gericht entschied, dass sich die Meinungs- und Versammlungsfreiheit auch auf die Abfertigungshallen von Flughäfen erstreckt, sofern diese mehrheitlich in der Hand des Staates sind (was bei Fraport der Fall ist) und dies ein "öffentliches Forum" ist. Das gilt aber nur für den Staat. Ein Hauseigentümer muss keine Demonstranten in seinem Vorgarten dulden, und seien die Motive noch so hehr. Die Sorge ist, dass die Geschäftswelten und Shopping-Malls ohne Grundrechtschutz zur meinungsfreien Zone verkommen.
Geht Hausrecht vor Grundrecht? Das Sony Center in Berlin zieht in seinem Innenhof jährlich acht Millionen Besucher an. Es ist faktisch ein öffentliches Forum, aber eben auf privatem Grundstück. Shopping-Malls sind die Marktplätze des 21. Jahrhunderts. Und sie markieren einen Strukturwandel der Öffentlichkeit, denn diese findet überwiegend in privatem Umfeld statt (Facebook, Malls). Der Bürger wird zum Kunden.
Die Stadt Venedig, die jährlich von 25 Millionen Touristen überschwemmt wird, erwog unlängst eine Benutzungsgebühr für Tagesbesucher zu erheben. Die italienische Kulturstaatssekretärin Ilaria Borletti sagte, Touristen sollten für das Privileg, das UNESCO-Weltkulturerbe zu sehen, bezahlen. Vielleicht kommt es irgendwann auch in Deutschland oder Österreich dazu, dass man nicht nur auf Autobahnen Maut bezahlt, sondern auch für die Besichtigung der Altstadt oder von Monumenten. Die Stadt, die historisch auf der Polis, einer Gemeinschaft freier und gleicher Bürger, gründet, droht zu einem exklusiven Klub zu werden - rein darf nur, wer zahlt. Solche Paywalls würden europäische Städte in eine Art Gated Community für Superreiche verwandeln. Die City als VIP-Bereich, reserviert für zahlende Gäste.
Es gibt aber auch Versuche, der Investorenarchitektur etwas entgegenzusetzen. Unter dem Motto "Reclaim the City" formieren sich Projekte, die den öffentlichen Raum zurückerobern wollen. Die New Yorker Archie Lee Coates und Jeffrey Franklin lancierten 2011 auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter eine Kampagne für den "+POOL", ein Flussschwimmbad vor der Skyline des Big Apple. Der Pool besteht aus einem kreuzförmigen Bassin, in dessen Armen unterschiedliche Bereiche untergebracht sind. Der 860 Quadratmeter große Pool wird mit gefiltertem Flusswasser gefüllt. Innerhalb eines Monats kamen 250.000 Dollar zusammen.
In der Lower East Side, mitten im New Yorker Großstadtdschungel, wollen die Architekten James Ramsey und Dan Barasch in einem alten Straßenbahndepot unter der Erde den ersten Untergrundpark der Welt anlegen. Dank Solartechnologie sollen dort Pflanzen und Bäume mit natürlichem Sonnenlicht wachsen und gedeihen können.
Mehr als 155.000 US-Dollar haben die Gründer von Lowline dank mehr als 3000 Unterstützern aus aller Welt über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter für ihr Projekt sammeln können. Der Lowline Park soll ein ziviles Gegengewicht zu den privaten Park-Fonds schaffen.
Crowdfunding
Stadtplanung ist meist eine Sache der Ämter und Entwickler. Gebaut wird, was einen Auftraggeber hat und sich bezahlen lässt. Doch mit den internetbasierten Spenden scheint dieser eherne Grundsatz zu kippen. Heute können Bürger mit ein paar Mausklicks Geld eintreiben. "Mit fünf oder zehn Dollar und einer Internetverbindung kannst du ein moderner Rockefeller werden", wirbt etwa das Portal www.citizinvestor.com.
Die Möglichkeiten sind beträchtlich: In Rotterdam entstand dank Crowdfunding eine Fußgängerbrücke - die Luchtsingel (zu Deutsch: Luftkanal) führt über Eisenbahnschienen und Straßen und verbindet drei Gebiete, die vormals getrennt waren. Auf der gelben Holzstruktur sind die Namen der Spender eingekerbt.
Im walisischen Glyncoch kamen fast 800.000 Pfund für ein Stadtteilzentrum zusammen. Und in Bogotá entsteht mit der Hilfe der Crowd ein 66-stöckiger Büroturm: Rund 3500 Unterstützer sammelten über Prodigy Network 200 Millionen Dollar. Das BD Bacatá wird das höchste Gebäude Kolumbiens werden. Spätestens hier zeigt sich, dass von der Bürgerschaft wichtige Impulse ausgehen können.
Der Schweizer Stadtplaner David Bieri von der University of Michigan steht dieser Entwicklung skeptisch gegenüber. "Die Realität von Immobilien-Crowdfunding hat nichts zu tun mit demokratisierter Planung und dem selbstlosen Zutun von sozial gewissenhaften Kleinanlegern", sagt er im Gespräch. "Immobilien-Crowdfunding-Seiten profitieren vor allem vom enormen Renditedurst der im Nullzinsumfeld arg gebeutelten internationalen Investoren." An den 12 Millionen Dollar Kapitaleinsatz, die für einen Apartment-Block in Manhattan zusammenkamen, hätten sich die Investoren im Schnitt mit über 100.000 Dollar beteiligt.
Der Minimalbeitrag für die crowd-gesourcte Tranche diese Projektes lag bei 20.000 Dollar, was rund dem Zweieinhalbfachen des mittleren Jahreseinkommens von New Yorks ärmsten Quartier in der South Bronx entspricht. Insofern ändere auch das internetbasierte Finanzierungsmodell nichts an der Tatsache, dass die Wohlhabenden bestimmen, was gebaut wird. Vielmehr verschärfe es diese Tendenz.
"Eine Immobilie ist, auch wenn sie teils von Crowdfunding getragen wird, eben keine Smartwatch und kein Kartenspiel", warnt Bieri. "Es kann durchaus sein, dass die Utopievorstellungen von einer demokratisierten Kreditvergabe im urbanen Raum sich schnell als gentrifizierender Albtraum von global entfesseltem, alles-pene-trierendem Spekulationskapital entpuppen." In New York wird sich zeigen, ob mit dem flottierenden +POOL wirklich ein öffentliches Schwimmbad entsteht oder ein exklusiver Badetempel, an dem sich nur die Schönen und Reichen auf dem Hudson sonnen.
Adrian Lobe, geboren 1988 in Stuttgart, Politikwissenschafter und Jurist, schreibt als freier Journalist für diverse Medien im deutschsprachigen Raum (u.a. "FAZ", "NZZ", "Wiener Zeitung").