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Die Seestadt Aspern als Wiens große Hoffnung auf neue Industriebetriebe.
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Alpbach. Wie viel Industrie benötigt die Stadt, und wie viel Industrie verträgt die Stadt? Der Geschäftsführer der Industriellenvereinigung, Johannes Höhrhan, definiert den Ausgangspunkt, nämlich was Industriebetriebe sind, so: "Betriebe ab 100 Beschäftigten, die industrielle Fertigungsmethoden verwenden." Nachsatz: "Eine hundertprozentige Abgrenzung ist nicht möglich."
Bei einer Alpbacher Veranstaltung zum Thema "Industrielle Produktion in der Stadt der Zukunft" war es zumindest Wunsch der Politik in Gestalt von Wiens Vizebürgermeisterin Renate Brauner, möglichst viel Industrie in der Stadt zu haben. Diese sollte aber möglichst platzsparend und möglichst sauber sein. "Wir können und wollen nicht die Billigsten sein, wir wollen die Besten sein", erklärte Brauner. Sie pflichtete ihrem Amtsvorgänger Sepp Rieder zu: Die Zeit der rauchenden Industrieschlote sei für Wien vorbei.
Wie Industrie in den urbanen Räumen der Zukunft aussehen wird, könne beispielsweise am "Smart City"-Projekt der Seestadt Aspern betrachtet werden. Im Nordosten Wiens, im 22. Gemeindebezirk, entsteht derzeit eines der größten Stadtbauprojekte Europas. Auf 240 Hektar (die zusammengerechnete Fläche der Bezirke Neubau und Josefstadt) soll laut Plan ein multifunktionaler Stadtteil entstehen, der Büros ebenso wie Wohnungen und Industrieanlagen beherbergt - und gleichzeitig Grünflächen bietet. Die Projektentwicklung dauerte viele Jahre, der tatsächliche Baubeginn läuft langsam an. Eine U-Bahn-Station gibt es schon, andere Infrastruktur fehlt aber noch, Beobachter beschreiben den Platz bisher als "Wüste".
Industrie braucht Raum
"In Aspern siedeln sich Weltkonzerne wie die Firma Hörbiger an, weil sie den Platz dort haben", bewarb Brauner den neuen Stadtteil vom Podium aus. Ein Vertreter der Firma, die Armaturenantriebe herstellt, saß im Publikum und relativierte: "Noch sind wir nicht dort. Aber die Entscheidung ist ein großer Vertrauensvorschuss von unserer Seite." Eine Abstimmung des Publikums brachte zutage: Knapp mehr als die Hälfte der rund fünfzig Anwesenden geht davon aus, dass Wien im Jahr 2025 "hervorragende Rahmenbedingungen für moderne Industriebetriebe, insbesondere für unternehmerische und industrielle Ansiedlungen bieten wird".
Wolfgang Hesoun, Präsident der Industriellenvereinigung (IV) und Generaldirektor von Siemens Österreich, glaubt auch an diese rosige Zukunft. Allerdings mehr aus einem Pragmatismus heraus: "Ich denke, dass diese These gut haltbar ist, dass Wien in den nächsten fünfzehn Jahren die Wertschöpfung steigern kann. Das passiert aber auch aufgrund der fortschreitenden Urbanisierung." In der Zukunft werden 70 Prozent der Menschen in Ballungsräumen wohnen, und solange der Kreislauf Produktion - Beschäftigung - Nachfrage aufrechterhalten werden kann, werde Wien nicht anders können, als Rahmenbedingungen für Arbeitsplätze zu sichern.
Abseits der Standort-Debatte unterstrich Hesoun die Wichtigkeit der Ausbildung. "Wir haben gerade mit dem Stadtschulrat eine Initiative begonnen, um die Lehrer wieder an Naturwissenschaften und Betriebswirtschaften heranzuführen." Und der Siemens-Chef brach noch eine Lanze in eigener Sache: "Siemens im elften Bezirk generiert eine Wertschöpfung, die von 11.000 Unternehmen mitgetragen wird. Denn man darf nicht vergessen, dass gerade durch das oft als negativ gesehene Outsourcing kleine und mittlere Unternehmen unterstützt werden, die dadurch an Aufträge herankommen."
Nicht nur Dienstleistungen
Dieter Läpple, emeritierter Professor für Stadtentwicklung aus Hamburg, ist ebenfalls der Ansicht, "dass die Stadt ein Ort der Produktion bleiben muss." Vor zehn, zwanzig Jahren wurde die Stadt abgeschrieben. Damals hieß es, "wir leben in einer postindustriellen Gesellschaft und die Zukunft sind Dienstleistungen. Dieser Glauben, dass alles nur noch aus Dienstleistungen und der Kreativwirtschaft bestehen kann, ist einer der größten Irrglauben überhaupt gewesen." Stattdessen brauchen die Menschen wieder eine "materielle Basis. Und nachdem wir jetzt auch in dem post-fossilen Zeitalter langsam ankommen, versucht man immer stärker Energie dort zu produzieren, wo sie auch gebraucht wird. Das ist eine ganz große Chance für die Städte". Die Industrie sei gefordert, sich zu überlegen, wie man sich am besten in die Stadt einbettet - das betrifft genauso die Umweltverträglichkeit wie auch die benötigte Größe - man könne mit intelligenten Lösungen viele Betriebe auch in einem Etagenhaus unterbringen.
"Das ist viel besser, als immer eine neue Riesenfläche aufzureißen, die man dann verlässt." Wichtig sei, dass eine Stadt funktionsmäßig offen ist. "Eine Stadt muss sich ständig verändern können. Alles, was sich die Politik ausdenkt, ist zum Zeitpunkt der Umsetzung bereits überholt."